Expertentagung: Kinderschutz braucht stärkere Lobby

Fast täglich kommen erschütternde Fälle von Kindesmissbrauch an
Licht. Um Gewalt zu verhindern, müssen viele Akteure besser
zusammenarbeiten, sagen Experten. Wichtig sind auch die Kinderärzte.

Lünen (dpa/lnw) - Jugendmediziner haben einen besseren Schutz für
Kinder vor Gewalt und eine stärkere Lobby für die Kleinsten
gefordert. Tagtäglich würden Jungen und Mädchen Opfer von
Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung, sagte Tanja Brüning,
Leiterin der Medizinischen Kinderschutzambulanz an der Vestischen
Kinder- und Jugendklinik Datteln, am Rande einer
Expertenveranstaltung in Lünen. Ärzte fühlten sich «ganz klar
zuständig», Gewalt zu erkennen und zu beenden. Doch Mediziner
benötigten politischen und finanziellen Rückhalt, um wirksam helfen
zu können, betonte die Tagungspräsidentin.

Erschütternde Fälle wie der jahrelange Missbrauch von mehr als 40
Minderjährigen in Lügde zeigten, wie wichtig die enge Zusammenarbeit
von Medizinern, Jugendämtern und Strafverfolgungsbehörden sei. Das
multiprofessionelle Zusammenwirken müsse besser werden, forderte
Bernd Herrmann, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für
Kinderschutz in der Medizin (DGKiM). An der zweitägigen Veranstaltung
nahmen auch Psychologen, Vertreter von Polizei, Staatsanwaltschaften
oder Jugendhilfe teil.

«Es geht oft nicht ohne die Expertise von Ärzten - schon beim
schwierigen Erkennen von Missbrauch», schilderte Herrmann.
Kinderschutz sei sehr komplex, die Diagnose kompliziert, Gespräche
mit Eltern, Jugendämtern und vielen Akteure innerhalb der Klinik
seien erforderlich, oft brauche es Fallkonferenzen. Nur ein kleinerer
Teil dieses großen Zeit- und Finanzaufwands werde in der Regel von
den Krankenkassen übernommen. Zudem brauche es eine ganz spezielle
Qualifikation. Der Arzt sei Anwalt der Kinder und wichtiger Akteur im
Kampf gegen Missbrauch, aber zugleich auf funktionierendes Netz
angewiesen.

In NRW wurden 2018 laut Landeskriminalamt 2422 Fälle von sexuellem
Kindesmissbrauch bekannt. 2017 hatten sich Jugendämter nach Angaben
des Statistischen Landesamts mit fast 39 500 Fällen befasst, in denen
Verdacht auf eine Gefährdung des Kindeswohls bestand.