Entlastungen oder Sozialleistungen? Koalition streitet um Prioritäten

Union und SPD haben beide ihre Lieblingsprojekte. Doch was tun, wenn
das Geld im Etat knapp wird? Die Koalitionspartner haben da ihre
Ideen. Vorzugsweise auf Kosten des anderen.

Berlin (dpa) - Die Regierungsparteien Union und SPD streiten
angesichts weniger stark sprudelnder Steuereinnahmen um Kernanliegen.
So will die Union die Grundrente von Arbeitsminister Hubertus Heil
(SPD) nicht in der geplanten Form akzeptieren, die SPD wehrt sich
gegen die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Die
CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer betonte derweil, sie
arbeite nicht auf eine Ablösung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor
Ende der Legislaturperiode 2021 hin.

«Die Kanzlerin und Regierung sind für die ganze Legislaturperiode
gewählt, und die Bürger erwarten zu Recht, dass sie die
Verpflichtung, die mit dieser Wahl einhergeht, ernst nehmen», sagte
Kramp-Karrenbauer der «Welt am Sonntag». Sie arbeite nicht auf einen
«mutwilligen Wechsel» hin. Sie räumte ein, dass die schwarz-rote
Koalition «sich nicht immer leichttut in ihrer Zusammenarbeit». «Der

entscheidende Punkt ist: Wenn sich die Rahmenbedingungen verändern,
finden wir dann in dieser Koalition die gemeinsamen, notwendigen,
neuen Antworten darauf?» Über diese Antworten werde die CDU auf ihrer
Klausurtagung nach der Europawahl beraten.

Den Grundrenten-Plänen der beiden SPD-Minister Heil und Olaf Scholz
(Finanzen) erteilte Kramp-Karrenbauer eine klare Absage. «Die SPD
will augenscheinlich insbesondere in die Rücklagen für schlechte
Zeiten greifen: Ich halte das für unverantwortlich», sagte sie der
Deutschen Presse-Agentur am Samstag im saarländischen Schiffweiler.
«Das ist kein seriöser Weg, um eine Grundrente zu finanzieren.»

Anfang des Jahres hatte Heil noch als Ziel genannt, die Aufbesserung
von Minirenten aus Steuermitteln zu finanzieren. Die «Bild»-Zeitung
berichtete am Samstag, die beiden Minister wollten nun auf die
Renten-Rücklage zurückgreifen. In dem Topf liegen derzeit rund 38
Milliarden Euro.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte das Vorhaben gegenüber
«Bild» «ungerecht und unsolidarisch». CDU-Sozialexperte Hermann Gr
öhe
sagte der Zeitung: «Mit anderer Leute Geld eine Runde zu schmeißen,
war noch nie seriös!» Eine Grundrente «nach dem Prinzip «Gießkann

ist ein milliardenschwerer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag». Auch
die Oppositionsparteien FDP und Grüne lehnten die Vorschläge ab.

Der CDU-Haushaltsexperte für den Bundeshaushalt Arbeit und Soziales,
Axel Fischer, sagte: «Die Pläne der SPD, die geplante Grundrente aus
Beitragsmitteln mitzufinanzieren, sind eine Schnapsidee. Dies käme
dem Diebstahl an gesparten Versicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer
gleich und muss deshalb verhindert werden.»

Trotz weniger stark wachsender Steuereinnahmen pocht die CDU auf den
vollständigen Abbau des Solidaritätszuschlags. Kramp-Karrenbauer
sagte der «Welt am Sonntag», die Forderung des CDU-Parteitags nach
einer völligen Abschaffung des Soli gelte, da sie zum Beispiel
Handwerksbetrieben helfen würde. «Aber es ist eine Forderung, die
über den Koalitionsvertrag hinausgeht», räumte sie ein. Dort ist
lediglich eine Abschaffung bis 2021 für 90 Prozent der Soli-Zahler
festgehalten.

Für eine völlige Soli-Streichung sieht SPD-Chefin Andrea Nahles nicht
den nötigen Spielraum. «Es wird nicht kommen in dieser
Legislaturperiode», sagte sie am Freitag zum Soli. Das würde den
Bundeshaushalt mit zusätzlichen 10 Milliarden Euro belasten. Dies sei
nur finanzierbar, indem Sozialleistungen gekürzt würden oder auf
einen Etat ohne neue Schulden verzichtet werde.

Bei ihrem Widerstand gegen Steuersenkungen bekam die SPD am
Wochenende Unterstützung der Kommunen. «Die Steuerschätzung und die
zurückgehenden Einnahmen zeigen deutlich, dass es keinen Spielraum
für Steuerentlastungen gibt», sagte der Hauptgeschäftsführer des
Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der Deutschen
Presse-Agentur. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags,
Hartmut Dedy, forderte finanzielle Unterstützung für die Kommunen,
etwa bei den Flüchtlingskosten und der Infrastruktur.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verlangte eine Politik zugunsten
von Arbeitnehmern und Rentnern. «Zwar ist die Konjunktur getrübt»,
sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann der dpa. «Doch sie wird nach wie vor
durch eine starke Binnennachfrage getragen, die uns vor externen
Schocks durch mögliche Handelskonflikte schützt.»

Wegen der eingetrübten Konjunktur und Änderungen bei den
Steuergesetzen steigen die Einnahmen des deutschen Staates in den
kommenden Jahren weniger stark als zuletzt. Bis 2023 müssen Bund,
Länder und Kommunen mit 124,3 Milliarden Euro weniger auskommen als
noch im November erwartet.