Sinkende Steuereinnahmen sorgen für Streit in der großen Koalition

Die Steuern fließen nicht mehr so stark wie erwartet. Union und SPD
wollen deshalb vorsichtiger mit dem Geld umgehen - vor allem bei den
Projekten des jeweils anderen Koalitionspartners.

Berlin (dpa) - Angesichts nicht mehr so kräftig sprudelnder
Steuereinnahmen greifen Union und SPD wichtige Vorhaben ihres
jeweiligen Koalitionspartners an. Die Union will die SPD-Grundrente
kippen, die SPD das Unionsanliegen einer Abschaffung des
Solidaritätszuschlags.

Bei ihrem Widerstand gegen Steuersenkungen bekam die SPD am
Wochenende Unterstützung der Kommunen. «Die Steuerschätzung und die
zurückgehenden Einnahmen zeigen deutlich, dass es keinen Spielraum
für Steuerentlastungen gibt», sagte der Hauptgeschäftsführer des
Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der Deutschen
Presse-Agentur.

Der frühere Anwärter für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, sagte dem
Nachrichtenmagazin «Focus» hingegen, der Solidaritätszuschlag müsse

ganz abgeschafft werden, «und zwar nicht nur für einige, sondern für

alle, auch für die oberen zehn Prozent». Bisher wollen Union und SPD
den Soli 2021 für 90 Prozent der Soli-Zahler abschaffen.

SPD-Chefin Andrea Nahles hatte einer vollständigen Soli-Abschaffung
am Freitag eine Absage erteilt: «Es wird nicht kommen in dieser
Legislaturperiode.» Das würde den Bundeshaushalt mit zusätzlichen 10

Milliarden Euro belasten. Dies sei nur finanzierbar, indem
Sozialleistungen gekürzt würden oder auf einen Etat ohne neue
Schulden verzichtet werde.

Aus Sicht von Gemeindebund-Geschäftsführer Landsberg sollten nun alle
Leistungsversprechen des Staates überprüft werden, auch wenn sie in
der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben sind. «Dabei muss der
Grundsatz gelten: Vorrang für Investitionen in Infrastruktur und
Klimaschutz», sagte er dpa.

Trotz der langsamer wachsenden Staatseinnahmen forderte der Deutsche
Gewerkschaftsbund (DGB) eine Politik zugunsten von Arbeitnehmern und
Rentnern. «Zwar ist die Konjunktur getrübt», sagte DGB-Chef Reiner
Hoffmann der dpa. «Doch sie wird nach wie vor durch eine starke
Binnennachfrage getragen, die uns vor externen Schocks durch mögliche
Handelskonflikte schützt.»

Gegenwind aus der Union bekamen Arbeitsminister Hubertus Heil und
Finanzminister Olaf Scholz (beide SPD) mit ihren Überlegungen, die
Grundrente auch aus den Sozialkassen zu finanzieren. Anfang des
Jahres hatte Heil noch als Ziel genannt, die Aufbesserung von
Minirenten aus Steuermitteln zu finanzieren. Die «Bild»-Zeitung
berichtete am Samstag, die beiden Minister wollten nun auf die
Renten-Rücklage zurückgreifen. In dem Topf liegen derzeit rund 38
Milliarden Euro.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte das Vorhaben gegenüber
«Bild» «ungerecht und unsolidarisch». CDU-Sozialexperte Hermann Gr
öhe
sagte der Zeitung: «Mit anderer Leute Geld eine Runde zu schmeißen,
war noch nie seriös!» Eine Grundrente «nach dem Prinzip «Gießkann

ist ein milliardenschwerer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag». Auch
die Oppositionsparteien FDP und Grüne lehnten die Vorschläge ab.

Der CDU Haushaltsexperte für den Bundeshaushalt Arbeit und Soziales,
Axel Fischer, sagte: «Die Pläne der SPD, die geplante Grundrente aus
Beitragsmittel mitzufinanzieren, sind eine Schnapsidee. Dies käme dem
Diebstahl an gesparten Versicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer gleich
und muss deshalb verhindert werden.»

Wegen der eingetrübten Konjunktur und Änderungen bei den
Steuergesetzen steigen die Einnahmen des deutschen Staates in den
kommenden Jahren weniger stark als zuletzt. Scholz fehlen in der
Finanzplanung bis 2023 nach der aktuellen Steuerschätzung 10,5
Milliarden Euro.