Koalition streitet nach Steuerschätzung über Prioritäten

Die Bundesregierung hat eine Lücke in der Finanzplanung. Jetzt müssen
Union und SPD Prioritäten setzen. Die Grundfrage lautet: Mehr Rente
oder mehr Spielraum für Unternehmen?

Berlin (dpa) - Nach der Hiobsbotschaft bei der neuen Steuerschätzung
sind zwischen Union und SPD Verteilungskämpfe um Geld für ihre
Vorhaben ausgebrochen. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU)
warnte am Freitag zwar vor Alarmismus. In jedem Ministerium gebe es
Möglichkeiten zum Sparen, daher sehe er die Finanzierung geplanter
Projekte nicht in Gefahr, sagte er dem Sender NDR Info. Streit gibt
es dennoch vor allem um die von der SPD geplante Grundrente ohne
Bedürftigkeitsprüfung und die von der Union unterstützte vollständi
ge
Abschaffung des Solidaritätszuschlags - zwei Projekte, die den Staat
Milliarden kosten würden.

Zugleich fehlen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in der Finanzplanung
bis 2023 nach der aktuellen Steuerschätzung 10,5 Milliarden Euro.
Denn wegen der eingetrübten Konjunktur und Änderungen bei den
Steuergesetzen steigen die Einnahmen von Bund, Ländern und Kommunen
weniger stark als angenommen. Nach Informationen des «Spiegel»
verlangen mehrere Minister trotzdem noch mehr Geld für ihre Etats:
Die Nachforderungen summierten sich allein für 2020 auf rund fünf
Milliarden Euro, berichtet das Magazin in seiner aktuellen Ausgabe.

SPD-Chefin Andrea Nahles erteilte einer vollständigen Abschaffung des
Solis vor diesem Hintergrund eine klare Absage. «Es wird nicht kommen
in dieser Legislaturperiode», sagte sie in Berlin. Dieser Schritt
würde den Bundeshaushalt mit zusätzlichen zehn Milliarden Euro
belasten und sei nur finanzierbar, wenn Sozialleistungen gekürzt oder
neue Schulden aufgenommen würden. Sie sehe momentan keine politische
Kraft in der Regierung, die dafür wäre, sagte Nahles.

Auch in der Union sieht man die Forderung inzwischen skeptischer.
Haushälter Eckhardt Rehberg sagte dem «Spiegel», dafür gebe es «z
um
jetzigen Zeitpunkt keinen Spielraum». Am längerfristigen Ziel halte
die Union aber fest. Bisher wollen Union und SPD 90 Prozent der
Soli-Zahler im Jahr 2021 von dem Beitrag befreien. Die deutsche
Wirtschaft und der CDU-Wirtschaftsflügel fordern seit langem aber
eine Komplett-Abschaffung.

Rehberg betonte, Steuersenkungen dürften nicht «auf Pump durch neue
Schulden» finanziert werden. Deshalb könne sich die Bundesregierung
die Soli-Abschaffung derzeit genauso wenig leisten wie eine
Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung oder andere Sozialversprechen
der SPD. Auch Brinkhaus betonte, ihm fehle die Fantasie, wie die
Grundrente bezahlt werden solle.

Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollen Pläne dazu in
Kürze vorlegen. Voraussichtlich wollen sie die Grundrente nicht wie
ursprünglich gedacht nur aus Steuermitteln finanzieren, sondern auf
bestehende Beitragsmittel aus Kranken- und Arbeitslosenversicherung
zurückgreifen.

Das lehnt die Union ab. «Das Finanzierungskonzept der SPD stellt die
Grundrente auf wackelige Beine», sagte der Chef des
CDU-Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland. «Es ist weder die Aufgabe der Krankenkasse noch der
Bundesagentur für Arbeit, kleine Renten aufzubessern.» Es gebe keinen
Grund, warum ausschließlich sozialversicherungspflichtige
Angestellten die Grundrente finanzieren sollten, aber nicht
Selbstständige und Beamte. Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann
machte klar: «Eine neue Grundrente ohne Bedarfsprüfung wird es mit
der Union nicht geben. Dass man jetzt auch noch die Rentenkasse als
Finanzierungsinstrument benutzen will, schlägt dem Fass den Boden
aus.» Die Grünen kritisierten die SPD für Finanzierungstricks, FDP
und die Arbeitgeberverbände lehnen die Pläne ebenfalls ab. Die Linke
mahnte, die Grundrente dürfe nicht an Planlosigkeit scheitern.

Die Union setzt stattdessen auf eine Entlastung der Wirtschaft um die
Konjunktur anzukurbeln. Der Unions-Obmann im Bundestags-
Finanzausschuss, Hans Michelbach (CSU), forderte ein Wachstumspaket.
«Gerade bei dieser Situation können wir keine Vollbremsung
durchführen, sondern wir müssen Wachstum anreizen», sagte er im
Deutschlandfunk. Das gehe nur, wenn die Menschen mehr Geld zur
Verfügung hätten. Auch CSU-Chef Markus Söder forderte eine
«entschlossene Wirtschaftspolitik». «Der Koalitionsvertrag braucht
ein ökonomisches Update», sagte der bayerische Ministerpräsident.
Nötig seien eine große Steuerreform für die Unternehmenssteuern und
mit dem vollständigen Abbau des Solis. Zugleich dürfe es «keine
verkorkste Grundsteuerreform oder eine einseitige CO2-Steuer» geben.