Die Wunschzettel der Koalitionäre: Was steht jetzt auf dem Prüfstand? Von Theresa Münch, dpa

Die Bundesregierung muss umplanen, es ist nicht mehr Geld für alles
da. Doch wo lässt sich sparen, was muss aufgeschoben werden?

Berlin (dpa) - Es ist ein Ringen um Milliarden. Nach der
Hiobsbotschaft der neusten Steuerschätzung ist klar: Die
Bundesregierung wird wohl nicht alle Wünsche und Projekte von CDU,
CSU und SPD realisieren können. Stattdessen hat Kassenwart Olaf
Scholz (SPD) eine Lücke von 10,5 Milliarden Euro in der Finanzplanung
bis 2023 zu schließen. «Alle werden Schlüsse und die notwendigen
Konsequenzen ziehen müssen», mahnte der Finanzminister schon. Doch
das hat Sprengkraft und das Zeug, die ohnehin angeschlagene Stimmung
in der Koalition weiter zu vermiesen. Denn jetzt geht der Streit los:
Was kann - und was will - sich die Bundesregierung noch leisten?

Ihre Wunschzettel haben die Koalitionspartner schon längst formuliert
- und da stecken von Grundrente bis Soli-Abschaffung eine Menge
Kosten drin. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) hält diese
Projekte zwar trotz der Steuerschätzung für machbar - dafür müsse
aber jedes Ministerium Möglichkeiten für Einsparungen finden, sagte
er auf NDR Info. Doch zugleich verfestigen sich zwischen Union und
SPD die Fronten. Die entscheidende Frage zu sein scheint: Geld für
Soziales - oder Geld für Sicherheit und Wirtschaft? Unter anderem
dürften nun diese Projekte auf den Prüfstand kommen:

GRUNDRENTE: «Wir müssen jetzt erst recht in die soziale Zukunft
investieren», sagt SPD-Generalsekretärs Lars Klingbeil. Die SPD hält

fest an ihren Plänen einer Grundrente oberhalb der Grundsicherung für
alle langjährig beitragszahlenden Geringverdiener - unabhängig davon,
ob sie bedürftig sind oder nicht. Kosten: mehr als fünf Milliarden
Euro. Allerdings soll das jetzt wohl nicht nur aus Steuermitteln,
sondern auch auf Kosten von Kranken- und Arbeitslosenversicherung
finanziert werden. Die Grundrente werde auch angesichts der
schlechteren Haushaltsentwicklung machbar sein, sagt Scholz. Die
Union ist nicht begeistert. «Dass man jetzt auch noch die Rentenkasse
als Finanzierungsinstrument benutzen will, schlägt dem Fass den Boden
aus», sagte Vize-Fraktionschef Carsten Linnemann (CDU) dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland.

SOLIDARITÄTSZUSCHLAG: Bisher planen Union und SPD die Abschaffung des
Soli für 90 Prozent der Menschen, der Wirtschaftsflügel in der Union
fordert eine Entlastung für alle Menschen. Das würde Zusatzkosten von
zehn Milliarden Euro pro Jahr verursachen. SPD-Chefin Andrea Nahles
sagte angesichts dessen, das Ganze werde «nicht kommen in dieser
Legislaturperiode». Auch in der Union gibt es skeptische Stimmen. «In
Anbetracht der deutlich nach unten korrigierten Steuereinnahmen gibt
es zum jetzigen Zeitpunkt keinen Spielraum für den zweiten
Abbauschritt beim Soli», sagte Haushälter Eckhardt Rehberg (CDU) dem
«Spiegel». CSU-Haushälter Alois Rainer stimmt ihm zu: Die erste
Abbau-Stufe müsse kommen, für die zweite sei gerade kein Geld da,
sagte er dem «Straubinger Tagblatt» und der «Landshuter Zeitung».

UNTERNEHMENSSTEUER: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will
Unternehmen um mehrere Milliarden entlasten und so die Konjunktur
ankurbeln. Trotz niedrigerer Steuereinnahmen sollen Unternehmensteuer
und Stromsteuer sinken. Auch Unionsfraktionschef Brinkhaus fordert,
der Wirtschaft müsse mehr Priorität eingeräumt werden. Es gehe auch
darum, «dass Leistungsträger weiter in diesem Land bleiben und dass
Leistungsträger weiter motiviert bleiben». SPD-Chefin Nahles sagt, es
gebe keinen Beleg dafür, dass geringere Unternehmenssteuern mehr
Innovationen der Firmen auslösten. Auch die Steuerreform von
US-Präsident Donald Trump sei weitgehend verpufft.

BETRIEBSRENTEN: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will
Betriebsrentner bei den Krankenkassenbeiträgen entlasten - und hatte
dafür auch aus der SPD Zustimmung bekommen. Kosten: 2,5 Milliarden
Euro pro Jahr. Hier hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aber bereits
gebremst: Bevor solche kostenintensiven Projekte diskutiert würden,
sollten erstmal die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben
angegangen werden. Auch Scholz hat zusätzliche Haushaltsmittel schon
abgelehnt und auf Milliardenrücklagen der Kassen verwiesen.

BAHNTICKETS: Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will Bahnfahren
mit ICE, Intercity und Eurocity billiger machen, indem er auf
Fernzugtickets weniger Steuern erhebt. Die Mehrwertsteuer soll hier
von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden - was im Nahverkehr schon
jetzt gilt. Kosten: um die 400 Millionen Euro pro Jahr.

KOHLEAUSSTIEG: Bis spätestens 2038 soll Deutschland die Produktion
von Kohlestrom beenden, darauf hat sich die Kohlekommission geeinigt.
Über Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber wird jetzt verhandelt,
insgesamt steht aber fest: Der Ausstieg wird für den Bund teuer. 40
Milliarden Euro sollen etwa bis 2038 an die betroffenen Länder gehen,
um ihnen beim Strukturwandel zu helfen. Zugleich ist das Ganze eine
Art Konjunkturprogramm, von dem der Bund schließlich auch wieder
profitieren könnte.

FLÜCHTLINGS-INTEGRATION: Die Länder wollen mehr Geld vom Bund für die

Kosten der Integration von Flüchtlingen. Scholz dagegen hatte schon
vor der Steuerschätzung geplant, die Unterstützung von bisher 4,7
Milliarden auf rund 1,3 Milliarden Euro pro Jahr zu senken, weil
längst nicht mehr so viele Asylbewerber nach Deutschland kommen.
Jetzt wird er umso bessere Argumente haben. Erst wenn wieder mehr
Flüchtlinge kommen sollten, sollen auch die Kosten für den Bund
wieder steigen.

VERTEIDIGUNG: Das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel bei den
Verteidigungsausgaben dürfte nach der Steuerschätzung noch weiter in
die Ferne gerückt sein. Zwar hat Ministerin Ursula von der Leyen
(CDU) vor kurzem in Washington noch betont: «Wir wissen, dass
Deutschland mehr machen muss.» Aber konkrete Bestrebungen, das
Verteidigungsbudget stärker als geplant steigen zu lassen, gibt es
derzeit nicht. Nach bisheriger Planung wird Deutschland im Jahr 2023
1,26 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in den Wehrbereich stecken.

WELCHE PROJEKTE WERDEN EHER NICHT AUFGESCHOBEN? Scholz hat seine
Prioritäten nach der Steuerschätzung so formuliert: sozialer
Zusammenhalt, Infrastruktur, Bildung und Forschung. Die Union
gewichtet etwas anders: Wachstum, Bildung und Forschung, innere und
äußere Sicherheit. Unwahrscheinlich ist in jedem Fall, dass die
Partner an die Projekte rangehen, die sie schon im Koalitionsvertrag
als «prioritäre Ausgaben» definiert haben: zum Beispiel den
Breitbandausbau oder die Förderung des sozialen Wohnungsbaus.