Junge stirbt an Darmverschluss - Eltern vor Gericht Von Elke Silberer, dpa

Ein Junge leidet akut unter Verstopfung. Die Eltern gehen nicht mit
ihm zum Arzt. Der fünfjährige Nico stirbt. Der erste Prozesstag wirft
ein Licht auf erschreckende Verhältnisse.

Aachen (dpa) - Angeblich wollte die Mutter am nächsten Tag mit ihrem
Jungen zum Arzt gehen. Da war der fünfjährige Nico tot, in der Nacht
gestorben an den Folgen eines Darmverschlusses. Vor dem Aachener
Landgericht hat am Donnerstag der Prozess gegen die 34 und 35 Jahre
alten Eltern begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft Vater und Mutter
Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen vor.

Auch wenn die Eltern am ersten Verhandlungstag schwiegen, zeichnete
sich ein Leid des Jungen auf anderer Ebene ab. «Das war ein
erbärmliches Bild. Das Kind war unterernährt, verwahrlost, die
Fußnägel verwachsen und die Fingernägel dreckig», schilderte ein
Polizist seinen ersten Eindruck von dem toten Jungen.

Der für sein Alter als klein und schmächtig beschriebene Nico hatte
nach Angaben der Staatsanwaltschaft schon früher unter Verstopfung
gelitten. Anfang November 2017 war es demnach aber besonders schlimm.
Das Kind hatte laut Anklage erhebliche Schmerzen und übergab sich.
Mit einem minimalen Eingriff hätte das Leben des Kindes gerettet
werden können, stellte die Anklage fest.

In einer ersten Vernehmung bei der Polizei schilderte die Mutter
diese akuten Krankheitstage als gar nicht so schlimm: Sie habe dem
Jungen ein vom Kinderarzt verschriebenes Darm-Medikament gegeben,
danach sei Ruhe gewesen. Am Morgen seines Todestages sei dem Jungen
morgens so unwohl gewesen, dass er nicht in den Kindergarten ging,
wie aus dem vom Gericht verlesenen Vernehmungsprotokoll hervorgeht.

Erst nach dem gemeinsamen Abendessen «hat er gesagt, dass er ein
bisschen Bauchschmerzen hatte», sagte die Mutter bei der Polizei aus.
Der Vater ging früh schlafen auch die ältere Schwester von Nico. Die
Mutter blieb mit dem kranken Kind auf dem Sofa und guckte Fernsehen.
Der Junge wurde laut ihrer Polizeiaussage ruhig. «Der Junge hat sich
vorher vor Schmerzen gewunden. Haben sich Sie nicht gewundert?»,
fragte der Polizist laut Protokoll. Sie habe ihm ja vorher ein
Schmerzmittel für Kinder gegeben, sagte die Mutter.

Einem Kind sehe man nicht unbedingt an, wie schlecht es ihm gehe,
sagte der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte,
Hermann Josef Kahl, auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Wenn
Kinder ein Schmerzmittel - auch Fieberzäpfchen - bekämen, dann gingen
die Schmerzen zurück und das Kind klage dann nicht mehr so deutlich.
Dann sei die Situation noch schwerer für Eltern zu beurteilen. Lieber
einmal zu viel zum Arzt, riet er.

Angeblich war die Mutter in jener Nacht auf Toilette und als sie
zurückkam, habe der Junge nicht mehr geatmet, wie sie in der früheren
Vernehmung aussagte. Als die Notärzte auf dem Weg ins Krankenhaus um
das Leben des Jungen kämpften, setzte schon die Leichenstarre ein.

Bei der Obduktion fanden Gerichtsmediziner Spuren von einem
Schmerzmittel für Erwachsene, von der Droge Amphetamin und den
Wirkstoff eines Medikaments der älteren Tochter. Die Mutter und der
Drogen konsumierende Vater hatten laut Vernehmungsprotokoll keine
Erklärung. Bei der Wohnungsdurchsuchung nach Medikamenten trafen die
Polizisten auf ein Chaos: «Was ich da gesehen habe, war
unbeschreiblich (...) Chaos ist schon untertrieben. Die hätten Hilfe
gebraucht», sagte ein Polizist.

Ein Nachbar schaltete sich ein. Sein Hilferuf beim Kinderarzt von
Nico versandete. «Der Nachbar sagte, Nico sei sehr vernachlässigt
worden. Der Junge weine oft, weil er nicht auf Toilette gehen
konnte», sagte die Sprechstundengehilfin vor Gericht. Der Arzt
unternahm nach eigenen Angaben vor Gericht nichts.