Erneute Brexit-Verlängerung in Sicht - aber bis wann?

Der große Knall bleibt am Freitag wohl aus, Großbritannien verlässt
die EU aller Voraussicht nach nicht ohne Vertrag. Beim Brexit-Gipfel
müssen Kanzlerin Merkel und ihre Kollegen sich allerdings auf ein
neues Datum einigen. Vor allem ein Land stellt sich quer.

Brüssel (dpa) - Kurz vor dem Beginn des EU-Sondergipfels zum Brexit
hat sich eine erneute Verschiebung des britischen EU-Austritts
abgezeichnet. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen
wollten sich bei dem Treffen am Mittwochabend in Brüssel nur noch auf
Bedingungen und ein neues Datum einigen. Die große Mehrheit der
EU-Staaten war nach Angaben von Diplomaten für eine längere
Verschiebung. Als Daten waren Stichtage im Dezember 2019, im Februar
oder März 2020 im Gespräch. «Es kann gut sein, dass es eine längere

Verlängerung als die von der britischen Premierministerin erbetene
ist», sagte Merkel vor ihrer Abreise nach Brüssel im Bundestag.

Die britische Premierministerin Theresa May wollte bei dem Gipfel
dafür werben, dass ihr Vorschlag für eine Brexit-Verschiebung bis zum
30. Juni akzeptiert wird. Viele EU-Staaten lehnen dies jedoch ab,
weil sie befürchten, dass die Briten bis dahin ihre innenpolitischen
Konflikte nicht beigelegt haben werden. May war zuletzt drei Mal
damit gescheitert, ihren mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag
durchs Parlament zu bringen. Vor allem Frankreich war mit Blick auf
eine längere Verschiebung skeptisch. Merkel kündigte am Mittwoch an,
es werde vor dem Gipfel ein Treffen mit dem französischen Präsidenten
Emmanuel Macron geben, «wo wir noch mal unsere Positionen abstimmen».

Ursprünglich war der britische EU-Austritt bereits für den 29. März
geplant. Die EU hatte die Frist jedoch auf den 12. April verlängert -
das ist der kommende Freitag. Würden die EU-Spitzen einem weiteren
Aufschub nicht zustimmen, käme es am Freitag aller Voraussicht nach
zum Chaos-Brexit mit dramatischen Folgen vor allem für die
Wirtschaft.

Diskutiert wurde von den EU-Staaten seit Tagen vor allem die Frage,
welches neue Austrittsdatum den größten Druck auf das britische
Unterhaus ausüben könnte. EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte
zuletzt, eine kurze Brexit-Verschiebung berge das Risiko immer neuer
Sondergipfel und immer neuer Fristen. Dies würde fast sicher die
restliche Arbeit der EU in den kommenden Monaten überschatten.

Tusk hatte für eine flexible Brexit-Verlängerung um bis zu zwölf
Monate getrommelt. Bundeskanzlerin Merkel nannte als mögliche Termine
Ende 2019 oder Anfang 2020. Bei einem Treffen der EU-Botschafter
sprach sich am Dienstagabend nach Informationen der Deutschen
Presse-Agentur eine Mehrheit der Mitgliedstaaten dafür aus, den
Briten einen Aufschub bis zum 31. Dezember oder 1. März anzubieten.

Als sicher gilt, dass eine Verlängerung der Austrittsfrist von
EU-Seite an klare Bedingungen geknüpft wird. So werden die Briten am
23. Mai an der Europawahl teilnehmen müssen, wenn May es nicht
schafft, das Austrittsabkommen bis dahin doch noch ratifiziert zu
bekommen. Die Wahlteilnahme soll sicherstellen, dass es keine
rechtlichen Schwierigkeiten gibt, wenn Großbritannien im Sommer noch
EU-Mitglied sein sollte, aber keine EU-Abgeordneten gewählt hat.

Aus Sichts Frankreichs sollten die Briten allerdings nur dann an der
Wahl teilnehmen dürfen, wenn sich die Möglichkeit eines britischen
Verbleibs in der EU abzeichnet.

Der britische Brexit-Minister Stephen Barclay machte deutlich: «Ich
möchte keine Verzögerung bis zu einem Jahr sehen.» Positiv hob er den

Vorschlag hervor, eine Verlängerung flexibel zu gestalten.

Eine weitere Bedingung für eine Brexit-Verschiebung sollte sein, dass
sich die britische Regierung verpflichtet, nicht mehr aktiv in
EU-Entscheidungen einzugreifen. Relevant könnte dies bei der
Ernennung des nächsten EU-Kommissionschefs oder den Verhandlungen
über den EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis Ende 2027 sein.

In einem Entwurf für die Gipfel-Erklärung heißt es, Großbritannien

müsse sich bereiterklären, bis zum endgültigen Austritt «konstrukti

und «verantwortungsvoll» zu handeln. Das Land müsse alles
unterlassen, was die Erreichung der von der EU gesteckten Ziele in
Gefahr bringe. Die Niederlande hält die Risiken in diesem Fall einem
EU-Diplomaten zufolge allerdings nicht für besonders groß.

Falls beide Seiten den Brexit-Vertrag vor Ablauf der neuen Frist
ratifizieren, könnte Großbritannien auch früher als geplant aus der
EU ausscheiden. Der EU-Austritt würde dann am 1. Tag des Folgemonats
wirksam. Zur Europawahl heißt es in dem Text, sollte Großbritannien
nach dem 22. Mai noch EU-Mitglied sein und den Brexit-Vertrag bis
dahin nicht gebilligt haben, müssten die Briten wählen. Andernfalls
würde das Land zum 1. Juni ohne Vertrag aus der EU ausscheiden.

Für den Fall, dass es doch zu einem ungeregelten Brexit kommen
sollte, stellte die EU-Kommission am Mittwoch Leitlinien für die
EU-Staaten vor. Sie beziehen sich auf die Bereiche Aufenthaltsrechte
und Sozialversicherungsansprüche der Bürger, Datenschutz,
Arzneimittel und Medizinprodukte, polizeiliche und justizielle
Zusammenarbeit in Strafsachen sowie Fischerei. Ziel sei, «die
reibungslose praktische Umsetzung von Notfallmaßnahmen auf EU- und
auf nationaler Ebene sicherzustellen, wenn das Vereinigte Königreich
die EU am 12. April oder zu einem späteren Zeitpunkt ohne ein
Abkommen verlassen sollte», hieß es in einer Mitteilung.