Notaufnahme oder Hausarzt? - Einzigartige Modellpraxis weist den Weg

Um die Notaufnahme von Patienten mit harmlosen Krankheiten zu
entlasten, geht die Uni-Klinik in Mainz einen neuen Weg. Zusammen mit
der Kassenärztlichen Vereinigung hat sie an der Notaufnahme eine
allgemeinmedizinische Praxis eröffnet.

Mainz (dpa/lrs) - Schwindel, Schmerzen in der Brust, hohes Fieber
oder extreme Kopfschmerzen: Immer mehr Menschen wissen bei solchen
Beschwerden nicht wohin - und gehen in eine Notaufnahme. Die Mainzer
Uni-Klinik zählte 2012 noch etwa 12 000 Patienten in ihrer
Notaufnahme, 2018 waren es schon mehr als 16 000. Etwa 40 Prozent
dieser Menschen wären jedoch bei einem Hausarzt gut aufgehoben
gewesen, berichtete der Leiter der Notaufnahme, Andreas Fischbach, am
Montag in Mainz. Eine bundesweit noch einzigartige Modellpraxis an
der Unimedizin soll schnell klären, wo und wie ein Patient am besten
behandelt wird. So sollen auch die Notaufnahmen entlastet und
Wartezeiten kürzer werden.

Die von der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV) in
der Uni-Klinik getragene Allgemeinmedizinische Praxis am Campus (APC)
sei Neuland in Deutschland, sagte der Medizinische Vorstand der
Uni-Klinik, Prof. Norbert Pfeiffer. «Es musste Pionierarbeit
geleistet werden.» Begonnen habe der Prozess schon Ende 2016.
Rechtlich sei dies nur über ein Modellprojekt möglich gewesen, das
zudem auch wissenschaftlich begleitet werde, sagte der
Vorstandsvorsitzende der KV, Peter Heinz. Angelegt ist das Projekt
auf vier Jahre.

Erwachsene, die ohne Einweisung oder Rettungsdienst in die
Notaufnahme kommen, werden in der Praxis befragt und die
Dringlichkeit ihrer Behandlung innerhalb weniger Minuten mit Hilfe
eines Computersystems (Smed) eingestuft, wie die APC-Leiterin Birgit
Schulz berichtete. «Je nachdem, wie ich antworte, öffnen sich weitere
Fragen.» Die in der Schweiz schon fachlich getestete Software
unterscheide zwischen vier Kategorien - von Notfall bis zu «in den
nächsten Wochen einen Arzt sehen».

Die Software könne von einem der acht medizinischen Fachangestellten
bedient werden. Es werde aber kein Patient weggeschickt, ohne
zumindest von einem der drei Ärzte in der APC gesehen worden zu sein,
betonte Schulz. Es gebe ein Ultraschallgerät, die Röntgengeräte und
das Labor der Klinik könnten genutzt werden. Zudem verschreiben die
Ärzte zur Überbrückung Medikamente. Die Patienten sollen sich nach

der Behandlung von ihrem Hausarzt versorgen lassen.

Bei der Behandlung der Patienten in der APC seien finanzielle
Defizite nicht zu verhindern, heißt es bei der KV. Sie rechnet mit
einem Defizit von bis zu 250 000 Euro pro Jahr, das jeweils zur
Hälfte von ihr und den Krankenkassen getragen werde. Die Uni-Klinik
hat die Räume nach eigenen Angaben für rund eine halbe Million Euro
saniert.

Die APC ist montags bis samstags von 8.00 bis 20.00 Uhr für Patienten
geöffnet, die von selbst zur Notaufnahme kommen. Die meisten Menschen
kämen tagsüber, vor allem am späten Vormittag. Eine Telefonnummer
gibt es nicht. Dafür ist der Ärztliche Bereitschaftsdienst unter
116117 zu erreichen.

Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) lobte die
Umsetzung eines «solchen Vorzeigeprojekts» in Rheinland-Pfalz. Damit
würden alle Patienten entsprechend dem Schweregrad ihrer Erkrankung
behandelt. Die Wartezeiten in den Notaufnahme verkürzten sich und
entlasteten die Mitarbeiter. Zudem sollten Studenten in der APC an
die Allgemeinmedizin herangeführt und Fachärzte ausgebildet werden.