Hausbesuch vom Sanitäter - neue Wege in der Notfallversorgung

Die Einsatzzahlen der Rettungsdienste steigen stetig. Doch nicht
jeder Notruf ist auch ein Notfall. Gemeindenotfallsanitäter leisten
im Nordwesten Erste Hilfe und können so manche Klinikaufenthalte
vermeiden.

Hannover (dpa/lni) - Die seit Jahresanfang tätigen
Gemeindenotfallsanitäter im Nordwesten sind zunehmend gefragt. Die
Zahl der Einsätze steige von Monat zu Monat, berichtete der Leiter
des Rettungsdienstes Oldenburg, Stefan Thate. Das bundesweit
einmalige Modell wird in der Stadt Oldenburg sowie den Landkreisen
Ammerland, Cloppenburg und Vechta erprobt. Pro Standort sind sechs
erfahrene Notfallsanitäter mit einer Zusatzausbildung in dem neuen
Job im Einsatz. Sie werden von der Rettungsleitstelle zu Patienten
geschickt, wenn nach dem Notruf 112 klar ist, dass zwar keine
Lebensgefahr vorliegt, aber medizinische Hilfe notwendig ist.

Finanziert wird das Projekt von den Krankenkassen. Angesichts der
steigenden Einsatzzahlen der Rettungsdienste ist ein Ziel, Kosten zu
sparen. Die Gemeindenotfallsanitäter dürfen auch allein und in
kleineren Einsatzfahrzeugen zu Patienten fahren. Inzwischen gebe es
allein in Oldenburg acht Einsätze pro Tag, berichtete Thate. «Wir
gehen weiter von einem Anstieg aus.» Eine erste Bilanz des
wissenschaftlich begleiteten Projektes soll im Sommer gezogen werden.
Hintergrund ist, dass zunehmend der Notruf gewählt wird, wenn
eigentlich gar kein Notfall vorliegt.

Häufig hätten die Einsätze mit Demenzkranken zu tun, berichtete
Thate. Allerdings wählten auch junge Leute die 112, etwa bei einem
tiefen Schnitt in den Finger. Viele Menschen seien heute nicht in der
Lage, sich selbst zu helfen - teilweise auch aufgrund von psychischen
Problemen.

Ein anderes niedersächsisches Projekt könnte ebenfalls
Vorbildcharakter haben. In Delmenhorst, Lemwerder und Ganderkesee
übernehmen seit dem 1. Juli 2018 speziell geschulte Fachkräfte wie
Notfallsanitäter oder Krankenpfleger Hausbesuche des kassenärztlichen
Bereitschaftsdienstes am Wochenende. Bei Bedarf werden sie von einem
Telemediziner unterstützt, der wiederum Fachärzte des Klinikums
Oldenburg zu Rate ziehen kann. «Die Rückmeldung von Patienten ist
extrem positiv», sagte der ärztliche Leiter der Telemedizin am
Klinikum Oldenburg, Daniel Overheu.

Im ersten halben Jahr machten die Johanniter 147 Mal im
Notdienstbezirk Delmenhorst Hausbesuche, in 90 Fällen wurde ein
Telemediziner per Video-Chat mit Hilfe eines speziellen Gerätes
eingeschaltet. Es kann auch Vitalwerte wie den Blutdruck übermitteln.
Wenn Patienten aus der Region die Nummer des Bereitschaftsdienstes
116 117 wählen, landen sie in der Telefonzentrale der Johanniter.
Dort wird mit Hilfe eines Fragebogens gecheckt, ob ein sofortiger
Hausbesuch notwendig ist. Das telemedizinische Konzept kommt bereits
seit längerem in der Offshore-Rettung zum Einsatz, wenn Arbeiter auf
den Windparks in der Nordsee erkranken oder sich verletzen.

«Unser Bestreben ist, solche Modelle in die Fläche zu bringen», sagte

der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN),
Detlef Haffke. Dies sei allerdings nur möglich, wenn die
Krankenkassen mitspielten und Kosten übernähmen.

Neue Wege in der Notfallversorgung sind an diesem Samstag Thema beim
21. Hannoverschen Notfallsymposium an der Medizinischen Hochschule
Hannover. Erwartet werden mehr als 500 Rettungskräfte und Notärzte.