Pläne gegen den Pflegenotstand - Spahn erwartet höhere Eigenanteile Von Basil Wegener, dpa

Pflegemisere in Deutschland: Die Bundesregierung will viele Räder
drehen, um die Lage zu verbessern. Wichtige Weichenstellungen stehen
kurz bevor.

Berlin (dpa) - Mehr Personal, bessere Bezahlung und leichtere
Arbeitsbedingungen sollen den Pflegenotstand in Deutschland
eindämmen. Zugleich kocht die Debatte hoch, wer erwartete Mehrkosten
in Milliardenhöhe schultern soll. Gesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) stimmte die Betroffenen beim Deutschen Pflegetag am Donnerstag
in Berlin schon einmal auf höhere Eigenanteile für Heimplätze ein.
Was kommt auf die Pflegebranche und Bürger zu?

KOSTEN:

Längerfristig sind steigende Beiträge, höhere Eigenanteile und
Steuerzuschüsse für die Altenpflege möglich - denn mehr Menschen
müssen gepflegt werden. Und es soll laut Spahn mehr und besser
bezahlte Pflegekräfte geben. Der Pflegebeitragssatz stieg Anfang des
Jahres um 0,5 Punkte auf 3,05, für Kinderlose auf 3,3 Prozent des
Einkommens. Mehreinnahmen von 7,6 Milliarden Euro im Jahr soll das
bringen. Nach Spahns Angaben reicht das Geld bis 2022 - für die Zeit
danach sei eine «Grundsatzdebatte» nötig. Zu sagen, von den
«Milliardenbedarfen» komme nichts bei den Eigenanteilen an, ist
aus Spahns Sicht unrealistisch. Die SPD ist für eine Begrenzung der
Eigenanteile und fordert eine Diskussion über Steuermittel für die
Pflege. Hamburg und andere Länder bringen an diesem Freitag eine
Initiative für eine Deckelung des Eigenanteils in den Bundesrat ein.
Als Höchstbetrag wollen sie den Eigenanteil, der im Bundesschnitt für
ein Heimplatz anfällt - 618 Euro. Mit Unterkunft und Verpflegung
kommen Summen von rund 1800 Euro im Monat zusammen.

PERSONAL:

Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerates, fordert insgesamt
100 000 Stellen für die Pflege zusätzlich. Fünf Monate dauere es
heute, eine freie Stelle zu besetzen. «Wir sind noch nicht am
Tiefpunkt angelangt.» Mit ihrer Konzertierten Aktion Pflege will die
Regierung gegensteuern. Arbeitgeber, Kassen, Verbände und
Gewerkschaften sollen in fünf Bereichen bis Juni Vorschläge vorlegen.
Bereits klar ist: Unter anderem durch die Einführung einer
Ausbildungsvergütung soll die Zahl der Azubis bis 2023 um zehn
Prozent steigen. Umschulungen und die Zurückgewinnung ausgeschiedener
Pflegekräfte kämen dazu, so Familienministerin Franziska Giffey
(SPD). Für den Spätsommer kündigte Spahn zudem ein Gutachten zur
Personalbemessung an - auch zum idealen Mix von Assistenz-,
Betreuungs-, Hilfs- und Fachkräften in einem Heim. Spahn meinte, die
Fachkräfte könnten auch durch mehr Pflegehilfskräfte entlastet
werden. Zudem könnten die Lücken nicht ohne ausländische Kräfte
geschlossen werden. Laut Bundesagentur für Arbeit waren Mitte 2018
knapp 75 000 Ausländer in der Altenpflege beschäftigt, davon mehr als
35 000 aus EU-Staaten, knapp 4000 aus Russland und der Ukraine und
3500 aus den wichtigsten Asylherkunftsländern.

BEZAHLUNG:

Die Regierung pocht auf höhere und einheitliche Einkommen in der
Pflege und bessere Arbeitsbedingungen per Tarifvertrag. Problem: Die
Arbeitgeber haben noch keinen Verband, der mit den Gewerkschaften
verhandeln könnte. Und viele Pflegekräfte sind auch nicht
organisiert. «Alle Akteure müssen jetzt an einen Tisch», forderte d
er
Staatssekretär im Arbeitsministerium, Björn Böhning. Die Gewerkschaft

Verdi war im Januar schon mal mit der Forderung nach mindestens 16
Euro pro Stunde für Fach- und 12,84 Euro für Hilfskräfte in der
Altenpflege vorgeprescht.

PFLEGE-TÜV:

Für Betroffene und Angehörige besonders wichtig: Wie kann man ein
gutes Heim erkennen? Dazu soll der Pflege-TÜV reformiert werden.
Bislang produziert der vor allem wenig aussagekräftige Spitzennoten.
Seit Herbst liegen Vorschläge von Wissenschaftlern vor. Nächste Woche
wollen Heimbetreiber und Kassen abschließend entscheiden. Mit einer
Einigung sei zu rechnen, sagte der Chef des AOK-Bundesverbandes
Martin Litsch. Auch beim Kassen-Spitzenverband erwartet man einen
Durchbruch. Die Situation in den Einrichtungen soll künftig somit
erstmals realistisch erfasst und für alle verständlich dargestellt
werden. Spahn drohte schon einmal, dass sein Ministerium oder
notfalls der Gesetzgeber die Reform auf den Weg bringen werde, wenn
sich Betreiber und Kassen nicht einigen.