Naturschützer zum Insektensterben: System ist massiv gestört Von Gitta Keil, dpa

Es gibt keine Maikäfer mehr, sang schon der Liedermacher Reinhard
Mey. Maikäfer gibt es zwar noch, und zwar teils im Übermaß - aber
viele Insektenarten sind vom Aussterben bedroht.

Halle (dpa/sa) - Sie summen, sie brummen, sie krabbeln, sie fliegen -
und manchmal stechen sie auch. Doch die Krabbeltiere werden immer
weniger. An der Martin-Luther-Universität in Halle treffen sich ab
diesen Montag rund 300 Insektenkundler aus aller Welt. Sie wollen
sich unter anderem darüber austauschen, welche Möglichkeiten es gibt,
die Artenvielfalt zu erhalten.

Auch Ursachen und Folgen des Insektensterbens werden diskutiert.
Viele Menschen nähmen Insekten, mit Ausnahme etwa von Bienen oder
Schmetterlingen, als Ungeziefer wahr, sagt Tagungsleiter Prof. Gerald
Moritz vom Institut für Biologie der Uni Halle. Doch jede Insektenart
habe ihre ganz eigene Biologie und ihre ganz eigene Welt.

Naturschützer schlagen schon seit längerem Alarm. «In den letzten 27

Jahren ist die Biomasse an Insekten um 75 Prozent zurückgegangen»,
sagt der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes Nabu
Nordrhein-Westfalen, Josef Tumbrinck. Er beruft sich auf eine Studie
des Krefelder Entomologischen Vereins, die im Fachmagazin Plos One
veröffentlicht wurde.

Spürbar sei dies vor allem in den Sommermonaten. «Das ist bei uns die
Zeit, wo die Natur so richtig tobt», sagt der Entomologe, der selbst
in dem Krefelder Verein mitarbeitet. «Wenn Sie früher mit dem Auto
unterwegs waren, war die Frontscheibe voll mit toten Insekten. Das
ist heute nicht mehr so.»

Intensive Landwirtschaft, Pestizide, Insektizide und
Lichtverschmutzung nennt der Naturschützer unter anderem als Ursache.
Der Schwund der Insekten bedeute auch einen Rückgang bei den Vögeln.
Denn fast alle Jungvögel würden mit Insekten gefüttert. «Das ganze

System ist massiv gestört», sagt er.

Die Bundesregierung will nun gegensteuern und erarbeitet ein
Insektenschutzgesetz, das den Kern eines ganzen Aktionsprogramms
bilden soll.

Insekten verbinden viele wohl hauptsächlich mit dem Thema Bienen: Sie
sind als fleißige Bestäuber unterwegs und sorgen etwa dafür, dass
Äpfel, Kirschen oder Aprikosen an den Bäumen wachsen. Der Deutsche
Bauernverband betont, wie wichtig die Bestäuber für die Obstkulturen
sind.

Aber: «Wir sehen keine akuten Probleme einer zu geringen Bestäubung
unserer Kulturen beziehungsweise entsprechender Ernteverluste»,
erklärt der Vize-Generalsekretär des Verbandes, Udo Hemmerling. In
vielen Regionen gebe es Absprachen und Zusammenarbeit zwischen Bauern
und Imkern. Immer mehr Landwirte legten Blühstreifen und Bienenweiden
an, um das Nahrungsangebot für Bienen und andere Insekten über die
gesamte Saison zu verbessern.

Während die Honigbiene von Imkern gepflegt und versorgt wird, geht es
vor allem den Wildbienen an den Kragen. Ihre Habitate werden
zunehmend zerstört, weiß Bienenforscher Prof. Robert Paxton von der
Uni Halle. «Wir haben 582 Bienenarten, davon sind 40 schon
ausgestorben und ein Drittel steht auf der Roten Liste», sagt er. Es
gebe aber auch Generalisten, die sich dann anderswo ausbreiteten und
sich etwa verstärkt in Städten wohlfühlten.

Tagungsleiter Moritz spricht sich für eine differenzierte Betrachtung
aus. Er befasst sich an der Uni Halle mit dem Thema Schadinsekten. Es
gebe eben auch Schädlinge, die bekämpft werden müssten - etwa in
anderen Weltgegenden, wo sie ganze Reisfelder vernichteten oder
Menschen mit Malaria infizierten. Die Forschung müsse indessen immer
weiter daran arbeiten, umweltschonendere Mittel zu finden.

Risikoanalysen und Bekämpfungsszenarien für die einheimische
Stechmücke liefert Doreen Walther vom Leibniz Zentrum für
Agrarlandforschung im brandenburgischen Müncheberg. In einem Citizen
Science-Projekt entwickelte sie zusammen mit Interessierten aus ganz
Deutschland einen Mückenatlas. Das könne eine wichtige Hilfestellung
sein, etwa bei Hochwasser.

Nabu-Landeschef Tumbrinck meint: «Wenn die Bedingungen geändert
werden, dann kann es auch wieder eine massenhafte Entwicklung bei den
Insekten geben». Er schlägt vor, intensive Landwirtschaft aus den
Naturschutzgebieten herauszunehmen und stattdessen ringsum
ökologischen Landbau anzusiedeln. So könnten sich die
Insektenbestände erholen.