Cool oder Abzocke? Studie zu Computerspiel-Sucht bei Teenagern Von Gisela Gross und Ulrike von Leszczynski, dpa

Computerspiele sind Teil der Jugendkultur. Aber können sie auch
ungesund für Kinder und Teenager sein? Manche Experten sehen die
Sache deutlich anders als die Spielebranche.

Berlin (dpa) - Im Umgang mit Computerspielen legen nach
Hochrechnungen rund 465 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland ein
auffälliges Verhalten bis hin zur Sucht an den Tag. Das geht aus der
Studie «Geld für Games» des Deutschen Zentrums für Suchtfragen
(Hamburg) und der Krankenkasse DAK-Gesundheit hervor, die am Dienstag
in Berlin vorgestellt wurde. Für die Untersuchung wurden tausend 12-
bis 17-Jährige zu ihrem Spielverhalten befragt. Die Suchtexperten
sehen bei rund 12 Prozent der Teilnehmer Anzeichen riskanten und bei
rund 3 Prozent Anzeichen krankhaften Spielverhaltens.

«Wenn mehr als 450 000 Jugendliche in Deutschland Gefahr laufen, die
Kontrolle über das eigene Computerspielen zu verlieren, dann läuft
etwas richtig schief», erklärte Marlene Mortler (CSU), Beauftragte
der Bundesregierung für Drogenfragen.

Um riskantes Spielen zu definieren, nutzte Studienautor Rainer
Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kinder-
und Jugendalters, ein US-Diagnosehandbuch. Zu den Kriterien zählen
danach Interessensverlust an früheren Hobbys, ständiges Denken ans
Spielen, Entzugserscheinungen, Lügen über das Ausmaß des
Spielverhaltens, Kontrollverlust bezüglich der Spieldauer und
Gefährdung des eigenen Werdegangs. Am Zentrum an der Uni-Klinik
Hamburg wird nach Thomasius Angaben inzwischen ein Viertel der
Patienten wegen Mediensucht behandelt. «Die Zahl der
Schwerbetroffenen nimmt zu», sagte er.

Im Ergebnis der Studie spielten rund 70 Prozent der Jugendlichen
regelmäßig Computerspiele, das sind rund drei Millionen Teenager in
dieser Altersgruppe. Zwei Drittel davon waren Jungen. Sie
investierten unter der Woche durchschnittlich zweieinhalb Stunden
Zeit in ihr Hobby, am Wochenende waren es drei Stunden. Die Gruppe
der insgesamt 15 Prozent «Risikogamer» spielte jeweils ein bis zwei
Stunden länger.

Die regelmäßigen Spieler gaben laut Studie in einem halben Jahr
durchschnittlich 110 Euro für die Anschaffung von Spielen und Extras
aus. Die Ausgaben schwankten dabei stark zwischen 20 und über 200
Euro, in Ausnahmefällen ging es bis zu 1000 Euro.

Richtig ärgerlich sei, wenn Jugendliche in einigen Spielen
«abgezockt» würden, sagt Mortler. Spielehersteller installierten
«dubiose Mechanismen», um jungen Leuten das Geld aus der Tasche zu
ziehen, darunter sogenannte Lootboxen. Das sind Überraschungskisten
mit virtuellen Inhalten, die Spieler als Belohnung für
erreichte Spielziele oder gegen Bezahlung erhalten. Mortler stuft das
als Glücksspiel ein, das Jugendlichen in Deutschland nicht angeboten
werden dürfte. «Da müssen die Aufsichtsbehörden einfach ran»,
ergänzte sie.

Der Branchenverband Game sieht die Spiele als festen Bestand der
Jugendkultur und geht davon aus, dass weniger als ein Prozent aller
Spielenden ein ungesundes Nutzungsverhalten entwickelten. Der Verband
lehne ein Verbot von Lootboxen weiter ab, sagte Geschäftsführer Felix

Falk. Entscheidende Unterschiede zu Glücksspielen würden in der
Debatte übersehen.

So enthielten Lootboxen immer einen vorher genannten Umfang an
virtuellen Gegenständen und Zusatzinhalten, lediglich die exakten
Inhalte seien nicht bekannt. «So wie auch bei Panini-Sammelbildern
oder Überraschungseiern», ergänzte er. Der Spieler erhalte immer
einen Gegenwert in Form virtueller Inhalte. Ein Verlust des
eingesetzten Geldes ist deshalb nach Meinung der Branche
ausgeschlossen.

DAK-Vorstandschef Andreas Storm nannte die Studie «ein Stück weit
erschreckend». Denn sie zeige, dass das Abgleiten in ein
Suchtverhalten beachtliche Dimensionen erreicht habe. Die Folgen sind
für Suchtforscher Thomasius bedenklich: Risikogamer fehlten öfter in
der Schule, seien häufiger hyperaktiv und hätten mehr emotionale und
Verhaltensprobleme als unauffällige Spieler.

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die Spieleindustrie die
Aufmerksamkeit der Jugendlichen clever fessele und ihnen auch für
vermeintlich kostenlose Spiele mehr und mehr Taschengeld entlocke,
sagte Storm. Er forderte ein Verbot von Lootboxen. Belgien und die
Niederlande hätten Glücksspielelemente in solchen Spielen bereits
verboten. Nötig seien außerdem Warnhinweise für Spielzeiten und
Ausgaben.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht Online-Spielsucht seit
2018 als eigenständige Krankheit an. Kritiker fürchten allerdings,
dass Menschen auch fälschlich als therapiebedürftig eingestuft werden
könnten - oder dass sie eher wegen anderer Probleme wie einer
Depression oder sozialen Angststörung behandelt werden müssten.