Stiefelabdruck im Gesicht: Mehr Fälle für Gewaltschutzambulanz

Rechtsmediziner obduzieren nicht nur Tote. Sie dokumentieren zum
Beispiel auch Spuren häuslicher Gewalt. Nach fünf Jahren ist die
Berliner Gewaltschutzambulanz ein Spiegel dieser dunklen Seite der
Gesellschaft.

Berlin (dpa/bb) - Gewürgt, geschlagen, getreten: Seit der Eröffnung
der Berliner Gewaltschutzambulanz vor fünf Jahren haben rund 4700
Menschen dort Hilfe gesucht. Damit haben sich die Fallzahlen seit dem
Start mehr als vervierfacht. Mit dem wachsenden Bedarf stieg auch die
Zahl der Ärzte in der Ambulanz von einem auf sechs Kollegen an.
Rechtsmedizinerin und Vize-Chefin Saskia Etzold geht in ihrer Bilanz
nicht davon aus, dass es in allen Lebensbereichen mehr Gewalt gibt
als früher. «Aber sie kommt mehr vom Dunkelfeld ins Hellfeld», sagte

sie am Freitag zum Jubiläum der Einrichtung.

Die Gewaltschutzambulanz gehört zur Berliner Charité. Opfer können
ihre Verletzungen dort von Rechtsmedizinern vertraulich und kostenlos
dokumentieren lassen. Sie müssen nicht sofort entscheiden, ob sie
Anzeige erstatten. Die Dokumentation zählt in jedem Fall aber auch
noch später bei einer Verhandlung vor Gericht.

Was Rechtsmediziner zu sehen bekommen, ist oft hart: Einen
Stiefelabdruck, der sich nach einem heftigen Tritt samt Profilsohle
in einem Kindergesicht abzeichnet oder Würgespuren am Hals von
Frauen. Dazu feuerrote Wundmale, die ein Nietengürtel nach heftigen
Schlägen auf dem Bauch hinterlassen hat. Drei Viertel der erwachsenen
Gewaltopfer in der Ambulanz sind Frauen, rund ein Fünftel aller
Betroffenen Kinder. Bei der Hälfte der Kinder (51 Prozent) bestätigte
sich der Verdacht auf eine Gewalttat.

Rund 2500 Menschen, die sich in der Ambulanz meldeten, hatten nach
Gewalterfahrungen deutlich sichtbare Verletzungen. Am häufigsten
raten Polizei und Krankenhausärzte Opfern dann zum Gutachten in der
Ambulanz. Auch Jugendämter, Frauenberatungsstellen und
Opferschutzeinrichtungen sind mit der Ambulanz vernetzt.

Bei fast der Hälfte der Fälle unter Erwachsenen (44 Prozent), die in
der Ambulanz dokumentiert sind, gehörten bisher Partner oder
Ex-Partner zu den Tätern. Fast immer gingen mehrere Gewalttaten
voraus, bevor sich Opfer Hilfe suchten. Bei einem weiteren knappen
Drittel der Fälle (31 Prozent) kannten sich Täter und Opfer. Nur ein
knappes Viertel der Verletzten hatte den Angreifer vorher noch nie
gesehen. Noch deutlicher wird dieses Nähe-Verhältnis bei Gewalt gegen
den Hals, bei der in jedem vierten Fall Lebensgefahr bestand. Nur elf
Prozent der Opfer kannten den Täter nicht.

Wichtig sei, dass sich Gewaltopfer in der Ambulanz melden, bevor
Verletzungen wieder verheilten, sagte Etzold. Nicht alle Betroffenen
zeigen den Täter sofort an. Manchmal vergingen Jahre des Leidens, die
sich dann auch in den Akten der Ambulanz widerspiegeln.

Die Opferhilfe wünscht sich für die Zukunft ein noch proaktiveres
Verhalten der Polizei. «Nur zehn Prozent der Menschen kommen nach
einer Straftat direkt im Hilfesystem an», sagte Geschäftsführerin Eva

Schumann. «Das liegt nicht am mangelnden Bedarf. Die Schwellen liegen
noch zu hoch.» Ein Gewaltopfer sei oft nicht in der Lage, einen
Anwalt auszusuchen und dort einen Termin auszumachen.

Gefördert wird die Ambulanz derzeit mit einer Million Euro pro Jahr
aus dem Haushalt des Justizsenats. Eine dauerhafte Finanzierung ist
noch nicht gesichert.