BGH stellt wichtige Weichen im Streit um zu teure Krebsmedikamente

Jahrelang zahlten Krebspatienten für ihre Chemotherapie Umsatzsteuer
- bis sich herausstellte, dass das unnötig ist. Millionen flossen zu
Unrecht an die Finanzämter. Aber wem gehört dieses Geld heute?

Karlsruhe (dpa) - Im Streit mit Kliniken um zu hohe Rechnungen für
Krebspatienten können die privaten Krankenkassen grundsätzlich einen
Teil des Geldes für ihre Versicherten zurückfordern. Es müssen
allerdings bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, wie aus einem
Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hervorgeht, das am
Mittwoch in Karlsruhe verkündet wurde. Einige Fragen sind auch noch
in den einzelnen Prozessen zu klären. (Az. VIII ZR 115/18 u.a.)

Betroffen sind sogenannte Zytostatika zur ambulanten Chemotherapie,
die Krankenhaus-Apotheken individuell anmischen. Dafür wurden früher
19 Prozent Umsatzsteuer fällig - bis der Bundesfinanzhof 2014
klarstellte, dass solche Medikamente von der Steuer befreit sind.

Die Versicherten haben also zu viel bezahlt, die Versicherungen zu
viel erstattet. Dabei kann es bei den teuren Medikamenten schon im
einzelnen Fall um mehrere Tausend Euro gehen. Die Kliniken wollen
sich das Geld aber nicht vom Finanzamt zurückholen. Bundesweit laufen
deshalb zahlreiche Prozesse. Die vier in Karlsruhe verhandelten
Verfahren seien nur die Spitze des Eisbergs, sagte die Vorsitzende
Richterin Karin Milger. Bisher wurde in den unteren Instanzen sehr
uneinheitlich geurteilt. Jetzt gibt der BGH eine Linie vor.

Das Problem mit der Abrechnung betrifft auch die gesetzlichen Kassen.
Sie streiten parallel vor den Sozialgerichten um Rückerstattung. Am
Bundessozialgericht sind dazu bereits zwei Revisionen anhängig. Eines
der Verfahren könnte noch im ersten Halbjahr 2019 entschieden werden.

Für die privaten Krankenversicherungen (PKV) urteilten die obersten
Zivilrichter des BGH nun, dass den Rückforderungen grundsätzlich
nichts im Weg steht. Insbesondere können sich die Kliniken nicht
darauf berufen, dass ihnen ein unzumutbarer Verwaltungsaufwand
entstehe. Dafür gebe es schließlich eigene Abteilungen, sagte Milger.

Allerdings haben die Versicherer keinen Anspruch auf die volle
Umsatzsteuer. Das hat damit zu tun, dass den Kliniken bei der
Rückabwicklung mit dem Finanzamt auch ein Vorsteuerabzug für die
eingekauften Herstellerstoffe verloren geht. Man kann also nicht
einfach den Nettopreis ohne Umsatzsteuer ansetzen. Die Verluste für
die Krankenhäuser müssen bei der Rechnung mitberücksichtigt werden.

Noch komplizierter wird es bei bestimmten Kliniken, denen deshalb
sogar hohe Nachzahlungszinsen drohen. Diese Konstellation wäre
möglicherweise rechtlich anders zu bewerten. Das will der BGH aber
davon abhängig machen, ob die Finanzämter diese Zinsen tatsächlich
mit harter Hand eintreiben oder gewisse Spielräume nutzen.

Deshalb konnte der Senat keines der Verfahren abschließend
entscheiden. Die Land- und Oberlandesgerichte müssen noch klären, wie
hoch die Vorsteuerabzüge waren und wie es mit den Zinsen aussieht.

Aus diesem Grund lässt sich auch noch nicht sagen, wie stark die
Versicherer von dem BGH-Urteil profitieren werden. Der PKV-Verband
hatte vor der Verkündung geschätzt, dass branchenweit mehrere
Millionen Euro auf dem Spiel stehen. Die Deutsche
Krankenhausgesellschaft, die in ihre Rechnung die gesetzlichen Kassen
einbezieht, war von einem dreistelligen Millionenbetrag ausgegangen.
Diese hohen Summen dürften durch die Einschränkungen, die das
Karlsruher Urteil enthält, am Ende aber eher nicht zustandekommen.