Ungeliebter Kompromiss: Neue Regelung zu Infos über Abtreibungen Von Theresa Münch, dpa

Die Entscheidung für eine Abtreibung fällt keiner Schwangeren leicht.
Jetzt sollen Frauen zumindest einfacher an Informationen kommen. Doch
dass Ärzte weiter nicht veröffentlichen dürfen, was sie wollen, stö
ßt
vielen auf. Im Bundestag könnte es zum Schwur kommen.

Berlin (dpa) - Für die große Koalition war es eine echte
Belastungsprobe: der umstrittene Paragraf 219a zum sogenannten
Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Jetzt ist klar: Schwangere
sollen sich künftig einfacher über Möglichkeiten zur Abtreibung
informieren können. Am Mittwoch brachte das Kabinett die mühsam
erstrittene Gesetzesänderung offiziell auf den Weg - doch so richtig
zufrieden scheint niemand. Vor allem Ärzte, Oppositionsparteien und
viele Frauen laufen weiter Sturm. Sie kritisieren einen «faulen
Kompromiss», der Schwangere stigmatisiere und schikaniere.

Justizministerin Katarina Barley (SPD) verteidigte die Einigung am
Mittwoch: «Wir stellen sicher, dass betroffene Frauen in einer
persönlichen Notsituation an die Informationen gelangen, die sie
benötigen», betonte sie. Auch Familienministerin Franziska Giffey
(SPD) sagte, entscheidend seien Informationen für die Frauen und
Rechtsklarheit für die Ärzte. «Das ist ein spürbarer Fortschritt.
»

DAS GESETZ

Es geht um Paragraf 219a des Strafgesetzbuches. Dieser regelt bisher,
dass man - «seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger

Weise» - öffentlich keine Abtreibungen anbieten darf. Ärzte und
Krankenhäuser konnten auf dieser Grundlage verurteilt werden, wenn
sie auf ihrer Internetseite Schwangerschaftsabbrüche als Leistung
nannten. Auch weitere Informationen etwa zu Methoden, Nachsorge oder
Risiken durften sie nicht geben.

DIE ÄNDERUNG

Die SPD wollte den Paragrafen abschaffen, wie auch Grüne, Linke und
die FDP - die Union wollte das nicht. Der über Monate mühsam
ausgehandelte Kompromiss besagt: Das Werbeverbot bleibt, wird aber
ergänzt. Ärzte und Kliniken dürfen demnach künftig darüber
informieren, dass sie Abtreibungen anbieten. Für weitergehende
Informationen müssen sie allerdings auf Behörden und Beratungsstellen
verweisen. Dort sollen zentrale Listen mit Ärzten und Krankenhäusern
geführt werden, an die sich die Schwangeren wenden können. Außerdem
sollen die Krankenkassen die Pille zwei Jahre länger bezahlen - bis
zum 22. Geburtstag.

DER KONFLIKT

Betroffenen Ärzten, vielen Frauen und Oppositionsparteien geht diese
Änderung nicht weit genug. «Die Entmündigung von Frauen geht weiter
»,
kritisierte die Linken-Abgeordnete Cornelia Möhring. Der
stellvertretende FDP-Fraktionschef Stephan Thomae monierte: «Die, die
Eingriffe selbst vornehmen und wissen was die Patienten bewegt, die
Ärztinnen und Ärzte, sollen weiterhin nicht informieren dürfen.»

Die Grünen nannten es «absurd», dass Ärzten zwar das Wort
Schwangerschaftsabbruch erlaubt werde, jede weitere Silbe aber
strafbar bleiben solle. Damit trage Paragraf 219a zur
Stigmatisierung von Abbrüchen bei. Auch der Paritätische
Wohlfahrtsverband wertete die Gesetzesänderung als «Misstrauensvotum
gegenüber Frauen als auch gegenüber Ärztinnen und Ärzten». Die
stellvertretene DGB-Vorsitzende Elke Hannack sprach von
«Kriminalisierung und Tabuisierung sachlicher Informationen».

Kritisiert wird zudem ein Gutachten, das im Gesundheitsministerium
entstehen soll. Minister Jens Spahn (CDU) will untersuchen lassen,
welche psychischen Folgen Abtreibungen für die Frauen haben können -
obwohl das sogenannte Post-Abortion-Syndrom dem wissenschaftlichen
Konsens zufolge nicht existiert. «Das zeugt nicht von Vertrauen in
Frauen und Ärztinnen und Ärzte, was sehr bedauerlich und bitter ist»,

erklärten die Grünen. Auch aus der SPD gibt es scharfe Kritik an der
Studie.

Die Unionsfraktion dagegen betonte, der Entwurf der Bundesregierung
sei «ein klassischer Kompromiss», der die zentralen Forderungen
aufgreife: den Schutz des ungeborenen Kindes und einen einfacheren
Zugang zu Informationen.

WIE ES WEITERGEHT

Als nächstes wird der Gesetzentwurf im Bundestag beraten. Grüne, FDP,
Linke und auch der DGB forderten die SPD auf, im Parlament gegen den
Kompromiss zu stimmen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse den
Koalitionszwang für diese Abstimmung aufheben. Die SPD-Linke Hilde
Mattheis kündigte bereits ihr Nein an: «Ich habe mich in dieser Frage
immer klar positioniert: Politik sollte sich an der Mehrheit
ausrichten. Und die Mehrheit sind nun mal Frauen», sagte sie der
«Passauer Neuen Presse». Auch die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
Sozialdemokratischer Frauen, Maria Noichl, rechnet mit Gegenstimmen
aus der SPD-Fraktion - «da bin ich mir sicher». Grüne, FDP und Linke

fordern nach wie vor die Streichung des gesamten Paragrafen 219a.