Faktencheck: Ist Krebs in 10 bis 20 Jahren besiegbar?

Berlin (dpa) - Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hält Krebsleiden
in absehbarer Zeit für besiegbar. Innerhalb von ein bis zwei
Jahrzehnten könne das erreicht sein, sagte der CDU-Politiker der
«Rheinischen Post» (Freitag).

AUSSAGE: «Es gibt gute Chancen, dass wir in 10 bis 20 Jahren den
Krebs besiegt haben.»

BEWERTUNG: Sehr unwahrscheinlich

FAKTEN:

Etwa 500 000 Krebsneuerkrankungen werden in Deutschland derzeit jedes
Jahr registriert. Das Erkrankungsrisiko nimmt bei vielen Krebsarten
mit zunehmendem Alter zu - damit steigen in der älter werdenden
Gesellschaft Deutschlands die Fallzahlen. Experten gehen von einer
Zunahme auf bis zu 600 000 pro Jahr bis 2030 aus, wie es beim
Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) heißt.

Die Krebsmedizin hat in den vergangenen Jahrzehnten beträchtliche
Erfolge verbucht. Doch noch immer ist Krebs nach
Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in
Deutschland. Bei einigen Krebsarten wie Bauchspeicheldrüsenkrebs sind
die Heilungsaussichten unvermindert gering.

Rund 230 000 Menschen sterben jährlich an Krebs. 90 Prozent der
Todesfälle gehen inzwischen nicht auf den Primärtumor, sondern auf
Metastasen zurück - die oft schwer zu bekämpfen sind. Deutlich wird
das etwa beim Brustkrebs, der häufigsten Krebsform bei Frauen. Jede
achte entwickelt die Krankheit hierzulande im Laufe ihres Lebens.

In der Mehrheit der Fälle kann der Tumor zunächst erfolgreich
behandelt werden - allerdings kehrt der Krebs bei jeder dritten bis
vierten Frau zurück. Dies kann auch noch Jahre nach einer zunächst
erfolgreichen Behandlung passieren.

«Krebs ist durch seine biologische Vielfalt eine der komplexesten
Erkrankungen», erklärt Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des
Deutschen Krebsforschungszentrums. Zwar seien in den kommenden 10 bis
20 Jahren deutliche Verbesserungen bei den Krebsüberlebensraten zu
erwarten - mit zeitlichen Prognosen zu einem «Sieg über den Krebs»
sei es aber schwierig, wie Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigten.
Auch in der Krebsprävention sei möglicherweise ein längerer Atem
nötig, bis Erfolge sichtbar würden.

Viele Krebsfälle gelten als vermeidbar, weil Faktoren wie Rauchen und
Alkoholkonsum, Übergewicht und Bewegungsmangel eine Rolle spielen.
Nach einer im vergangenen Jahr vorgestellten Analyse des DKFZ sind
geschätzt rund 37 Prozent der Krebsneuerkrankungen auf bestimmte
Risikofaktoren zurückzuführen. Ein großer Teil sei aber auch
genetisch bedingt oder entstehe durch Infektionen, erklärte Bernhard
Wörmann, Krebsmediziner an der Charité in Berlin. «Nicht jeder Krebs

ist vermeidbar.»

Große Hoffnungen richten sich derzeit auf neue Behandlungsansätze wie
die Immuntherapie, insbesondere die Checkpoint-Inhibitor-Therapie.
Dabei sollen Wirkstoffe molekulare Bremsen von Immunzellen lösen -
sogenannte Checkpoints - und dadurch eine Reaktion des Immunsystems
gegen Tumore entfesseln. Solche Behandlungen verbuchen beeindruckende
Erfolge, insbesondere bei Schwarzem Hautkrebs, teils auch bei Lungen-
und Brustkrebs. Allerdings schlägt die Behandlung nur bei einem
relativ kleinen Teil der Patienten an - bei Brustkrebs sind es etwa
10 bis 20 Prozent. Warum das so ist, ist derzeit unklar.

Auch Gentherapien gegen Krebs seien in der Entwicklung, aber ein
großflächiger Einsatz in 10 bis 20 Jahren sei nicht zu erwarten,
sagte Wörmann. Bei vielen Krebsarten werde es in den kommenden Jahren
nicht um Heilung gehen, sondern darum, die Krankheit mit lebenslang
einzunehmenden Medikamenten in Schach zu halten. «Wir werden aus
vielen akuten Krebserkrankungen chronische machen können, aber
«besiegen» im Sinne von gar keinen Krebs mehr haben, das halte ich
für unrealistisch.»