Die «Gute-Gesetze-Partei»? - Der neue Simplizismus der SPD Von Georg Ismar und Theresa Münch, dpa

Die SPD will irgendwie selbstbewusster, klarer und volksnäher sein -
und versucht sich als «Gute-Gesetze-Partei» zu inszenieren.
Ausgerechnet Donald Trump wird von der SPD zum Vorbild genommen.

Berlin (dpa) - Mit 63 Buchstaben ist es bis heute eines der längsten
Wörter der deutschen Sprache: Über das
Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz in
Mecklenburg-Vorpommern wurde viel gespottet, bis es 2013 aufgehoben
wurde. Heute klingen Gesetze anders: «Gute-Kita», «Starke-Familie».


Die Politik bemüht sich um Eingängigkeit, eine bessere «Verkaufe».

Besonders die SPD hat sich im Zuge ihres Erneuerungsprozesses eine
einfachere Sprache verordnet - doch das stößt einigen ziemlich auf.

«Wer die Begriffe besetzt, besetzt die Köpfe», heißt es in einer
107-seitigen Analyse der SPD zu den Fehlern im Bundestagswahlkampf
2017. Diese kam zu dem Schluss, dass es gerade auch bei der Sprache
hapere. Wer weiß schon, dass sich hinter «Parität» verbirgt, dass
Arbeitgeber nun wieder die gleichen Beiträge zur Krankenversicherung
zahlen wie Arbeitnehmer? Zu Zeiten von Willy Brandt sei die Sprache
der SPD «einer der Hebel für politische Erfolge» gewesen. «Ostpolit
ik
oder Entspannungspolitik waren Begriffe, die Dekaden überlebten.»

Heute, in einer von sozialen Medien und Pointierung getriebenen Zeit,
werde das politische «Framing» immer wichtiger. Es folgt ein
ungewöhnliches Lob: US-Präsident Donald Trump bediene sich «perfekt

solcher Methoden». Auch der CDU/CSU wird eine bessere Kommunikation
attestiert: Die Union habe etwa den Begriff «Lebensleistungsrente»
geprägt. «Sie vermittelt ein Gefühl von Würde, Respekt und
Anerkennung für die Leistung der heutigen RentnerInnen.» Da habe der
konkurrierende SPD-Begriff der «Solidarrente» nie mithalten können.

Zum Treiber einer simpleren SPD-Sprache ist Bundesfamilienministerin
Franziska Giffey geworden. Sie weiß aus ihrer Zeit als
Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln nur zu genau, dass man
möglichst einfach reden muss, damit Bürger Politiker noch verstehen.

So prägte Giffey den Begriff «Gute-Kita-Gesetz», es folgte das
«Starke-Familien-Gesetz». Das heißt offiziell «Gesetz zur zielgenau
en
Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des
Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und
Teilhabe» - 23 Wörter.

Giffey muss tief Luft holen, als sie den ganzen Titel bei der
Vorstellung des Gesetzes vorliest. «Wenn wir Politik machen wollen,
die Menschen verstehen (...), dann müssen wir vielleicht auch mal
einen Begriff nehmen, den Menschen behalten können.» Da sei auch
nichts geschönt, wie Kritiker ihr vorwerfen: «Es ist nichts
Verwerfliches, ein Ziel im Gesetzesnamen zu verwenden.»

Sozialminister Hubertus Heil pflichtet der Parteifreundin bei:
«Gerade in diesen Zeiten, wo das Vertrauen vieler Menschen in die
Handlungsfähigkeit des Staates aus alltäglicher Erfahrung erschüttert

ist, ist es notwendig, staatliches Handeln (...) besser zu erklären».
Er sei Giffey dankbar dafür, «dass sie uns allen eins beigebracht hat
in der Bundesregierung: Nämlich, dass im Grundgesetz nicht steht,
dass wir jedem Gesetz einen bescheuerten Namen geben müssen.»

Heils Rentenkonzept für Geringverdiener wurde nun als «Respekt-Rente»

publik. Es ist bereits der vierte Begriff für das gleiche Projekt -
und soll schon im Namen Würde vermitteln. Ziel ist es, Altersarmut
stärker zu bekämpfen, denn bisher konnten weder das Konzept der
Lebensleistungsrente noch das der Solidarrente umgesetzt werden.

Union und SPD vereinbarten in ihrem neuen Koalitionsvertrag 2018
daher die Einführung einer «Grundrente» - die nun zur «Respekt-Rent

werden könnte. Es geht um eine Besserstellung für Geringverdiener,
die 35 Jahre Beiträge gezahlt, Kinder erzogen oder Angehörige
gepflegt haben. Sie könnten laut Berichten eine Rente bekommen, die
etwa 100 Euro über der Grundsicherung (derzeit 424 Euro im Monat
plus Unterkunftskosten) liegt. 

Der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke hat langsam genug von der
Eigenwerbung speziell der SPD. Heils «Respekt-Rente» sei der dritte

Versuch, «mit sprachideologischen Taschenspielertricks die
öffentliche Debatte gezielt zu manipulieren». Wie beim «Gute-Kita»-

und beim «Starke-Familien-Gesetz» liefere die Bundesregierung die
moralische und politische Bewertung der Projekte gleich mit.

«In den Augen von Polit-Strategen mögen solche Beeinflussungsversuche
nach klugen Schachzügen aussehen, doch für eine demokratische
Diskussion sind sie höchst gefährlich», sagt Fricke. Wer Bedenken am

«Gute-Kita-Gesetz» äußere, werde schnell als Gegner guter Kitas
wahrgenommen. Wer Kritik an der «Respekt-Rente» formuliere, gelte
leicht als respektlos. Diese Logik opfere eine offene Debatte über
Gesetzesvorschläge dem kurzfristigen PR-Erfolg einzelner Minister.  

Sprachwissenschaftler Sascha Wolfer vom Institut für Deutsche Sprache
in Mannheim findet die werbenden Namen dagegen nicht unbedingt
verwerflich. «Man kann sie auch als Zusammenfassung dessen sehen, was
mit dem Gesetz erreicht werden soll», sagt er. Ob sie aber wirklich
mehr Bürgernähe schafften, sei ungewiss. «Den Leuten, die die
Leistungen in Anspruch nehmen wollen, ist der Name relativ egal.»

Zugleich lehrt die Erfahrung, dass komplizierte Bezeichnungen in der
Öffentlichkeit ohnehin schnell abgekürzt werden. Auch «Obamacare»
habe offiziell nie diesen Namen gehabt, sagt Wolfer mit Blick auf die
US-Krankenversicherung. Giffeys Gesetzesnamen seien der Versuch,
dieser Setzung in der Öffentlichkeit vorwegzugreifen - mit einem
Label, das den Verantwortlichen in die Karten spiele. Wie wichtig das
eigene Setzen von Begriffen ist, bevor andere es tun, hat die SPD
schmerzhaft bei einem anderen Gesetz erfahren müssen: Hartz IV.

Der bekannteste Kurztitel in Deutschland ist für die SPD bis heute
ein Trauma, aber auch für den Namensgeber, und lässt sich trotz aller
Versuche bisher nicht tilgen. Das «Vierte Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt» - basierend auf den
Reformvorschlägen des früheren VW-Managers Peter Hartz - wurde für
viele zur Chiffre für sozialen Abstieg. «Hartzen» wurde zum Verb,
Kinder wurden in Schulen gehänselt. Nun will SPD auch Hartz IV
überwinden. Aber wie? Die Alternative dazu ist erst noch
auszubuchstabieren.