Sind die geltenden Feinstaub- und Stickoxid-Grenzwerte unbegründet?

Für Luftschadstoffe gelten in Deutschland Grenzwerte. Sie sollen die
Menschen schützen, etwa vor zu schmutzigen Autoabgasen. Doch sind die
Stoffe überhaupt so gefährlich? Einige Spezialisten haben Zweifel -
ihr Fachverband hat bisher allerdings eine klare Position.

Berlin (dpa) - Mehr als hundert Lungenspezialisten bezweifeln den
gesundheitlichen Nutzen der aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und
Stickoxide (NOx). Sie sehen derzeit keine wissenschaftliche
Begründung, die die konkret geltenden Werte rechtfertigen würden, wie
es in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme heißt.

So hätten viele Studien, die Gefahren durch Luftverschmutzung zeigen
sollen, erhebliche Schwächen. Zudem seien Daten in der Vergangenheit
einseitig interpretiert worden. Die Lungenexperten fordern deshalb,
dass relevante Untersuchungen neu bewertet werden. Zunächst hatten
der Norddeutsche Rundfunk und die «Welt» über das Thema berichtet.

Die Fachleute stellen sich damit auch gegen ein Positionspapier der
Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP),
das Ende 2018 veröffentlicht worden war. Darin hieß es: «Studien
zeigen, dass die Feinstaub-Belastung durch Landwirtschaft, Industrie
und Verkehr gesundheitsschädlich ist.»

Außerdem werden Regularien und Anreize zur Schadstoffvermeidung
gefordert. Nun heißt es von der DGP, der Deutschen Lungenstiftung und
dem Verband Pneumologischer Kliniken (VPK), die aktuelle
Stellungnahme werde «als Anstoß für notwendige Forschungsaktivitäte
n
und eine kritische Überprüfung der Auswirkungen von Stickoxiden und
Feinstaub» betrachtet. Sie geht auf eine Initiative von Dieter Köhler
zurück, einem ehemaligen Präsidenten der DGP.

Das Papier wurde an 3800 DGP-Mitglieder verschickt, wie eine
Sprecherin der Gesellschaft mitteilte. 113 Fachleute haben die
Stellungnahme unterschrieben. «Die Liste zeigt, dass die Gruppe der
Forscher und Lungenärzte, die der aktuell vorherrschenden Position
widersprechen, deutlich größer ist als angenommen», schreiben DGP,
VPK und Lungenstiftung.

Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) - der Jahresmittelwert darf
40 Mikrogramm pro Kubikmeter in der Außenluft nicht überschreiten -
gelten in der EU seit 2010. Sie beruhen auf einer Empfehlung der
Weltgesundheitsorganisation WHO. Auch für Feinstaub gibt es je nach
Partikelgröße Grenzwerte. An Orten, wo Grenzwerte über längere Zeit

deutlich überschritten werden, drohen zum Beispiel Fahrverbote für
Autos mit besonders hohem Schadstoffausstoß.

Experten haben berechnet, dass Tausende Menschen vorzeitig an Folgen
von Luftverschmutzung sterben - laut Umweltbundesamt im Jahr 2014
etwa 6000 an Herz-Kreislauf-Krankheiten, die auf die
Langzeitbelastung mit Stickstoffdioxid zurückzuführen seien. Nach
Angaben der Europäischen Umweltagentur EEA aus dem Jahr 2017 gibt es
in Deutschland zudem rund 66 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr durch
die Folgen von Feinstaub in der Luft. Solche Ergebnisse beruhen in
der Regel aber auf statistischen Analysen - sie sagen wenig aus über
gesundheitliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen für einzelne Menschen.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hält die Zweifel der mehr als
hundert Lungenexperten für wichtig. «Der wissenschaftliche Ansatz hat
das Gewicht, den Ansatz des Verbietens, Einschränkens und Verärgerns
zu überwinden», sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der
Funke-Mediengruppe. Die Initiative helfe mit, «Sachlichkeit und
Fakten in die Diesel-Debatte zu bringen».