Pharmaverbände warnen wegen Brexits vor Arznei-Mangel

Eine Milliarde Arzneipackungen wird jährlich zwischen der EU und
Großbritannien gehandelt, auch viele Mittel werden dort zugelassen.
Kommt es zum ungeregelten Brexit, könnte das Folgen für Patienten
haben, warnen Pharmaverbände. Die Bundesregierung gibt sich gelassen.

Frankfurt/Berlin/Bonn (dpa) - Pharmaverbände warnen im Falle eines
ungeordneten Brexits vor Engpässen bei Medikamenten. Ohne
Übergangsphase oder Regelungen für die komplexen Lieferketten für
Arzneien könne die Versorgung in Großbritannien und der übrigen EU
«empfindlich» gestört werden, mahnte der Bundesverband der
Arzneimittel-Hersteller (BAH) am Mittwoch in Berlin. Großbritannien
und die EU müssten dringend Maßnahmen ergreifen, damit gerade schwer
kranke Patienten weiter ihre Medikamente bekämen. Der Handel der
deutschen Chemie- und Pharmabranche mit Großbritannien ist 2018 schon
eingebrochen, wie erste Schätzungen des Branchenverbands VCI zeigen.

Fast jedes vierte Arzneimittel für die EU werde in Großbritannien
freigegeben und dort in den Verkehr gebracht, so der BAH.
Entsprechend groß sind die Sorgen vor einem ungeordneten Brexit:
«Medikamente, die für ganz Europa in Großbritannien zugelassen
wurden, dürfen von jetzt auf gleich nicht mehr in Europa vertrieben
werden», warnte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie
(BPI). Sie müssten dann erneut von den EU-Behörden bewilligt werden.
Im Falle eines Brexits ohne Abkommen werde Großbritannien im Handel
zum Drittstaat, inklusive damit verbundener Zölle und anderer
Beschränkungen, sagte Vorstandschef Martin Zentgraf.

Das Schreckensszenario eines ungeregelten Brexits zum angepeilten
Austrittsdatum am 29. März ist wahrscheinlicher geworden: Am
Dienstagabend hatte das britische Parlament gegen den vorgeschlagenen
Deal von Premierministerin Theresa May mit der EU gestimmt.

Jährlich wird laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller
(vfa) eine Milliarde Arzneimittelpackungen zwischen Großbritannien
und der übrigen EU gehandelt. Von möglichen Engpässen wäre aus
vfa-Sicht aber in erster Linie Großbritannien betroffen. Das Land
könne einen «Stresstest für das Gesundheitssystem» wesentlich
schwerer wegstecken als die EU, sagte Hauptgeschäftsführerin Birgit
Fischer. Pharma-Firmen hätten zwar ihre Arzneivorräte auf der Insel
erhöht. Ob das aber für einen Brexit ohne Deal genüge, sei ungewiss.


Auch die Bundesregierung gab sich mit Blick auf die Lage in
Deutschland gelassen. «Wir rechnen nicht mit Engpässen», sagte eine
Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin. Voraussetzung
sei allerdings, dass die betroffenen Pharmaunternehmen ihrer
Verantwortung bei der Zulassung von Arzneimitteln nachkämen.

Der Handel der deutschen Chemie- und Pharmabranche mit Großbritannien
ist derweil eingebrochen. 2018 sank das Volumen um fast 10 Prozent
auf 16 Milliarden Euro, zeigen Zahlen des Branchenverbands VCI, die
der Deutschen Presse-Agentur vorliegen. 2017 wurden noch
Chemieprodukte und Arzneien im Wert von 17,7 Milliarden Euro zwischen
Deutschland und dem Vereinigten Königreich ausgetauscht.

Der Einbruch im Handel hänge stark mit Arzneien zusammen, erklärte
der VCI. Möglicherweise hätten deutsche Pharmafirmen weniger
Medikamente von der Insel importiert und stattdessen zur Sicherheit
Verträge mit anderen Zulieferern in Europa als Ersatz für britische
Produkte abgeschlossen. Bei den Pharma-Exporten nach Großbritannien
wiederum habe sich der Rückgang seit 2016 fortgesetzt.

Die Sorgen der Pharmabranche sind auch deshalb so groß, weil die
EU-Aufsicht und -Prüfung von Medikamenten bisher in London verankert
war. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA siedelt wegen des
Brexits nach Amsterdam über. Der Umzug mit 850 Mitarbeitern begann
jüngst. Da auch die Gesetzgebung für chemische Stoffe und Produkte
weitgehend europäisch harmonisiert sei, drohten mit dem Brexit große
Nachteile, warnte der Verband der Chemischen Industrie (VCI).