Hartz-IV-Sanktionen auf dem Prüfstand - Rufe nach Reform

Soll Beziehern von Grundsicherung das Geld gekürzt werden, wenn sie
etwa Termine beim Jobcenter versäumen? Kritiker der Sanktionen hoffen
auf das Bundesverfassungsgericht.

Karlsruhe/Berlin (dpa) - Vor einer Verhandlung des
Bundesverfassungsgerichts über Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher
werden Forderungen nach einem milderen Umgang mit den Betroffenen
lauter. «Die Vorstellung, Menschen durch Sanktionen in Arbeit zu
bringen, geht an der Wirklichkeit vorbei», sagte Hans-Jürgen Urban
vom Vorstand der IG Metall der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Ab diesem Dienstag befasst sich das Gericht mit den
Leistungskürzungen. Im schlimmsten Fall können die Sanktionen so weit
gehen, dass die Betroffene ohne Unterstützung dastehen. Mit weniger
Leistungen müssen Hartz-IV-Empfänger unter anderem dann auskommen,
wenn sie Termine im Jobcenter versäumen.

Die Überprüfung angestoßen hatte das Sozialgericht im thüringischen

Gotha. Die Richter dort halten die Sanktionen für verfassungswidrig,
unter anderem weil sie die Garantie des Existenzminimums verletzt
sehen. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will in Karlsruhe
anwesend sein. Das Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.

Die Linksfraktion im Bundestag erklärte allerdings den
Senatsvorsitzenden und neuen Vizegerichtspräsidenten Stephan Harbarth
für befangen. «Er sollte sich an der Urteilsfindung nicht
beteiligen», sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch in der Düsseldorfer
«Rheinischen Post» (Dienstag), «da Herr Harbarth Gesetze
mitbeschlossen hat, die hier auf dem Prüfstand stehen». Harbarth saß

zuvor für die CDU im Bundestag.

Inhaltlich sagte IG-Metall-Vorstand Urban über die Sanktionen: «Es
mangelt den Betroffenen in der Regel nicht an Arbeitsmotivation und
auch nicht an der Bereitschaft, Zugeständnisse bei einer angebotenen
Tätigkeit zu machen.» Der ganz überwiegende Teil der Sanktionen werde

vielmehr aufgrund einfacher Regelverstöße verhängt - vor allem wegen

Meldeversäumnissen. «Statt auf Sanktionen sollte stärker auf Angebote

und Beratung gesetzt werden.»

Linke-Chefin Katja Kipping sagte der dpa: «Hartz IV ist das
Schreckgespenst unseres Sozialstaates. Schreckgespenstern begegnet
man nicht leise flüsternd mit einer Taschenlampe, wie es Hubertus
Heil tut.» Nötig seien Geisterjäger. «Licht an, Spuk beenden,
Sanktionen abschaffen!» Heil will Hartz-IV-Sanktionen abmildern, aber
nicht abschaffen.

Der Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Helmut Dedy, kritisierte vor

allem die besonders strikten Sanktionen für nachlässige
Hartz-IV-Bezieher unter 25 Jahren: Die Sanktionen erhöhten die
Gefahr, dass diese in Obdachlosigkeit gerieten und ihren
Krankenversicherungsschutz verlören, argumentierte er in den
Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Verena Bentele,
sagte, Sanktionen führten zu einer systematischen Unterschreitung des
Existenzminimums und somit zu einer Grundrechtsverletzung.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hingegen zeigte sich zwar offen für
Änderungen am System der Grundsicherung - aber nicht für eine
Abschaffung der Sanktionen: «Sanktionen sind und bleiben in den
wenigen Fällen, die sie betreffen, ultima ratio - das letzte Mittel»,
sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). «Aber
sind und bleiben gerecht, sinnvoll und zielführend.»

Allerdings müsse das System entbürokratisiert werden. «Der Fokus muss

noch mehr auf Langzeitarbeitslose mit Kindern und besonderen
Hemmnissen gelegt werden», so der Präsident der Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). «Zum Nachjustieren gehört aber
nicht, das Prinzip des Förderns und Forderns leichtfertig über Bord
zu werfen.» Beides sei «untrennbar miteinander verbunden».

Auch der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, hält
Hartz-IV-Sanktionen für unverzichtbar. «Insbesondere bei arbeitslosen
Jugendlichen brauchen wir diese Möglichkeit», sagte der Vorsitzende
der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft dem RND. «Wenn
jemand mit Anfang zwanzig bei der Jobsuche schludert, kann er sich im
Handumdrehen in der Langzeitarbeitslosigkeit wiederfinden. Da dürfen
wir nicht achselzuckend zuschauen.»