Schädigt Übergewicht das Gehirn?

Übergewicht schädigt die Gesundheit. Es begünstigt etwa Diabetes oder

Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Forscher gingen nun der Frage nach, ob
auch das Gehirn von den Extra-Pfunden in Mitleidenschaft gezogen
wird.

Loughborough (dpa) - Bei Menschen mit starkem Übergewicht kann das
Gehirn in bestimmten Bereichen geschrumpft sein. Das berichten
britische Forscher in der Online-Ausgabe des Fachmagazins
«Neurology». Sie zeigten in ihrer Studie, dass der Effekt vor allem
bei Menschen festzustellen ist, die um die Körpermitte viel Fett
ansammeln. Es sei allerdings bisher unklar, ob das Übergewicht die
Hirnveränderungen auslöse - oder ein verändertes Gehirn die
Entstehung von Übergewicht begünstige. Auch die Frage, welche
Konsequenzen die festgestellten Hirnveränderungen haben, untersuchten
die Forscher nicht.

Dass starkes Übergewicht ein Wegbereiter für zahlreiche Krankheiten
sein kann, steht außer Frage. Auf der Liste der Krankheiten stehen
Diabetes, Gelenkschäden, Kreislauferkrankungen und Atembeschwerden.
Unklar ist bislang aber, ob - und wenn ja, in welchem Ausmaß -
überflüssige Pfunde auch eine Gefahr fürs Gehirn darstellen. Hinweise

darauf hatten Forscher in der Vergangenheit in mehreren Studien
gefunden. So zeigte 2017 eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts
für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, dass
Fettleibigkeit wichtige Hirn-Netzwerke beeinträchtigen und das
Alzheimer-Risiko erhöhen kann. Bereits 2010 hatte eine US-Studie
ergeben, dass Adipositas das biologische Altern des Gehirns
beschleunigt.

Britische Forscher um den Sportmediziner Mark Hamer von der
Loughborough-Universität untersuchten nun, wie sich Übergewicht
speziell auf die so genannte Graue Substanz im Hirn auswirkt. Diese
«Substantia grisea» setzt sich vor allem aus Nervenzellkörpern
zusammen und ist eine wesentliche Komponente des
Zentralnervensystems. Im Gegensatz dazu besteht die Weiße Substanz
aus Nervenfasern, welche die verschiedenen Areale des Hirns
miteinander verbinden.

«Die Forschung hat eine Schrumpfung des Hirns mit einem Verfall des
Gedächtnisses und einem erhöhten Risiko für Demenz in Verbindung
gebracht», fasst Hamer in einer zur Studie veröffentlichten
Mitteilung zusammen. «Unklar war bislang aber, ob zusätzliches
Körperfett die Gehirngröße schützt oder schädigt.»

Für die Studie werteten die Forscher Daten von 9652 Menschen mit
einem Durchschnittsalter von 55 Jahren aus. Sie ermittelten den
Body-Mass-Index (BMI) der Teilnehmer, also das Verhältnis ihres
Körpergewichts zur Körpergröße. Von den Teilnehmern galten knapp 19

Prozent als adipös - sie hatten einen BMI von 30 und mehr. Allerdings
ist der BMI in den vergangenen Jahren durchaus in die Kritik geraten,
da selbst Menschen mit viel Muskelmasse oder einer höheren
Knochendichte durch die reine Fokussierung auf das Gewicht einen sehr
hohen BMI haben können.

Die britischen Mediziner bezogen daher zusätzlich den
Körperfettanteil und den Taille-Hüfte-Quotienten (THQ) in ihre
Analyse mit ein. Bei Frauen gilt ein THQ von 0,8 oder kleiner als
gesund, bei Männern liegt der Wert bei 0,9 oder darunter. Der
Quotient trifft auch eine Aussage darüber, ob man mehr ein Apfeltyp
ist, das Körperfett sich also zum größten Teil um die Taille
befindet, oder ein Birnentyp mit Fettpolstern vor allem um Hüfte, Po
und Oberschenkel: Apfeltypen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für
Bluthochdruck, Diabetes sowie Herz- und Kreislauferkrankungen.

Ferner wurden die Teilnehmer zu ihrer Gesundheit befragt. Per
Magnetresonanztomographie bestimmten die Forscher dann die
Gehirnvolumina für die Graue und Weiße Substanz und bezogen hier auch
Faktoren ein, die Einfluss auf das Gehirnvolumen nehmen können, wie
das Alter, körperliche Aktivität, Rauchen und Bluthochdruck.

Das zentrale Ergebnis: Menschen, die sowohl einen hohen BMI als auch
einen hohen THQ hatten, verfügten über ein geringeres Volumen an
Grauer Substanz als diejenigen mit einem normalen THQ. Konkret
stellten die Wissenschaftler fest, dass die 1291 Teilnehmer mit einem
hohen BMI und einem hohen THQ mit durchschnittlich 786
Kubikzentimetern das geringste Volumen an Grauer Substanz aufwiesen.
Im Vergleich dazu betrug dieser Wert bei den 3025 Menschen mit einem
normalen Gewicht 798 Kubikzentimeter. Die 514 Teilnehmer mit einem
hohen BMI, aber einem normalen THQ verfügten durchschnittlich über
793 Kubikzentimeter Graue Substanz. Bei der Weißen Substanz waren
hingegen keine Unterschiede feststellbar.

Ähnliche Resultate hatten japanische Mediziner bereits im vergangenen
Jahr veröffentlicht, die sich in ihrer Arbeit indes auf die
Auswirkungen von leichtem Übergewicht konzentriert hatten.

«Obwohl unsere Studie herausgefunden hat, dass Fettleibigkeit, vor
allem in der Körpermitte, mit einem geringeren Volumen an grauer
Substanz im Gehirn zusammenhängt, bleibt unklar, ob Anomalitäten in
der Hirnstruktur zu Fettleibigkeit führt oder ob Fettleibigkeit diese
Veränderungen im Hirn bewirkt», schränkt Mark Hamer, Autor des
aktuellen Fachartikels, ein.

Ein Nachteil ihrer Studie sei auch, dass nur fünf Prozent der
eingeladenen Personen an der Untersuchung teilgenommen hatten - und
diese im Schnitt gesünder waren als die, die sich gegen eine
Teilnahme entschieden hatten.