Kassenärzte fordern Änderungen an Plänen für mehr Sprechzeiten

Viele Kassenpatienten ärgern sich über lange Wartezeiten für Termine.

Die Politik will deswegen an mehreren Stellen gegensteuern - doch das
bringt viele Praxisärzte auf die Palme. Gibt es Kompromisse?

Berlin (dpa) - Die Kassenärzte fordern noch Änderungen an den
geplanten Vorgaben für Sprechzeiten, die gesetzlich Versicherte
schneller an Termine bringen sollen. «Ich habe große Zweifel, dass
das Gesetz, wenn es so kommt, die gewünschte Wirkung entfaltet»,
sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas
Gassen, der Deutschen Presse-Agentur. Es sei ein richtiger Ansatz,
mehr Geld für mehr Leistungen vorzusehen. Dies müsse man aber auf die
regionalen Bedürfnisse anpassen - etwa mit extra Anreizen für
Sprechstunden abends oder samstags. «Das mit so einem
holzschnittartigen Gesetz über die ganze Republik zu ziehen, wird
nicht funktionieren.»

Ein von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebrachter
Entwurf sieht vor, dass Praxisärzte künftig mindestens 25 statt 20
Stunden pro Woche für Kassenpatienten anbieten müssen. Augenärzte,
Frauenärzte und Hals-Nasen-Ohren-Ärzte sollen fünf Stunden offene
Sprechzeiten ohne feste Termine einrichten. Ärzte sollen Zuschläge
bekommen, wenn sie neue Patienten aufnehmen. Die bisher nach Ländern
unterschiedlich organisierten Telefon-Servicestellen für Termine
sollen bundesweit zu Rund-um-die-Uhr-Angeboten ausgebaut werden.

Der Linke-Bundesvorsitzende Bernd Riexinger sagte zu den Plänen: «Wir
reden hier im Grunde darüber, Kassenpatientinnen und Patienten ein
bisschen weniger schlechter zu stellen. Das ist uns nicht genug. Wir
wollen die Zwei-Klassen-Medizin mit gesetzlichen und privaten
Krankenkassen abschaffen und durch eine Krankenversicherung für alle
ersetzen.»

Laut Gassen arbeiten niedergelassene Ärzte schon jetzt weit mehr als
20 Stunden in der Woche. «Aber es gibt viel mehr als Sprechstunden in
der Praxis - Hausbesuche, Terminieren von Untersuchungen,
Bereitschaftsdienste», sagte er. Mögliche zusätzliche Vergütungen v
on
600 Millionen Euro im Jahr für die Ärzte klängen toll. «Aber wenn m
an
es auf die einzelne Praxis herunterbricht, reden wir über 4000 Euro
brutto mehr Umsatz im Jahr. Dafür die Praxisstruktur ändern zu müssen

und möglicherweise eine zusätzliche Arzthelferin einzustellen, die
das organisiert, da sagen viele: Das ist eine Unverschämtheit.»

Viele Hausärzte und HNO-Ärzte hätten auch schon offene Sprechstunden,

sagte der KBV-Chef. «Es ist ja nicht üblich, dass Patienten sagen, in
vier Wochen kriege ich eine Grippe, ich melde mich schon mal an.»
Jetzt par Ordre de Mufti fünf offene Stunden vorzugeben, sei nicht
zielführend. «Die Stunde hat 60 Minuten - ob ich die mit offenen
Sprechstunden oder bestellten Terminen zubringe, davon kriegt sie ja
nicht 70 Minuten. Es entsteht nicht mehr Arztzeit, wenn man
Praxisabläufe mit mehr offenen Sprechstunden chaotisiert.»

Der Kassenärzte-Chef mahnte: «Es ist realitätsfern, die Illusion zu
erwecken, wenn die Ärzte nur wollten oder mehr arbeiteten, könnte
jeder gesetzlich Versicherte zu jeder Tages- und Nachtzeit in jeder
Fachgruppe einen Termin bekommen. Das wird mit keiner gesetzlichen
Regelung dieser Welt darzustellen sein. Dafür haben wir schlicht und
ergreifend viel zu wenig Ärzte.»

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) unterstützen erneut die
Pläne zu mehr Sprechzeiten. Das Vorhaben der Politik, hier eine neue
Mindestgrenze einzuziehen, könne man nur begrüßen, sagte der Sprecher

des GKV-Spitzenverbands, Florian Lanz, der dpa. Er verwies darauf,
dass laut einer Umfrage im Verbands-Auftrag jede vierte klassische
Praxis weniger als 25 Sprechstunden inklusive Hausbesuche anbietet.

Kassenärzte-Chef Gassen betonte, es bekomme «nahezu jeder» den
Termin, den er brauche. Viele Termine würden sogar ohne ärztliche
Steuerung vergeben. «Es gibt auch Ecken in der Republik, wo das
vielleicht nicht so hundertprozentig klappt.» Die Versorgung sei aber
auch verglichen mit anderen Ländern hervorragend, zumal es eigentlich
keine Zugangsschranken gebe. Man könne als gesetzlich Versicherter zu
jedem Arzt seiner Wahl, «ob Hausarzt, Facharzt oder Superspezialist»,
gehen und werde behandelt. Möglicherweise gebe es Wartezeiten im
Mittel unter drei bis fünf Tagen, selten einmal von drei Wochen.

Gassen sagte auch mit Blick auf einen vorgesehenen Austausch mit
Spahn bei einer KBV-Veranstaltung am 18. Januar: «Wir haben Hoffnung,
dass mit einigen Änderungen noch etwas Vernünftiges mit dem Gesetz
erreicht werden kann.» Es enthalte auch eine Vielzahl begrüßenswerter

Punkte wie den Ausbau der Telefonservice-Angebote.

Zurückhaltend äußerte sich Gassen zu Reformplänen Spahns für eine

Entlastung überfüllter Rettungsstellen in vielen Krankenhäusern. Wenn

die Länder festlegten, welche Kliniken gemeinsame «Notfallzentren»
von niedergelassenen Ärzten und Klinikärzten haben sollen, dürfe es
zu keinem «Wünsch-dir-was-Szenario» kommen. Die Hoheit der ambulanten

Notfallversorgung müsse in Händen der niedergelassenen Ärzte bleiben.