Debatte um Kieferorthopädie - Was bringen Zahnspangen und Co.? Von Teresa Dapp, dpa

Glänzendes Metall auf den Zähnen oder bunte Plastikschienen mit
Draht: Eine Zahnspange zu tragen ist nicht unbedingt ein Vergnügen -
und kostet Geld. Es geht dabei oft um gerade, schöne Zähne. Aber ist
die Behandlung auch medizinisch wichtig?

Berlin (dpa) - Zahnspangen und der regelmäßige Gang zum
Kieferorthopäden sind für Millionen Familien Alltag - doch der
medizinische Langzeitnutzen ist einem von der Bundesregierung in
Auftrag gegebenen Gutachten zufolge nicht ausreichend belegt. Das
Berliner IGES-Institut hat verschiedenen Studien ausgewertet und
kommt zu dem Schluss, diese ließen «keinen Rückschluss auf einen
patientenrelevanten Nutzen» von kieferorthopädischen Behandlungen zu.
Das Ministerium von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will mit
Beteiligten nun über «den weiteren Forschungsbedarf und
Handlungsempfehlungen» sprechen.

Zuerst hatte die «Bild»-Zeitung über die mehr als 100-seitige
Meta-Studie berichtet, die bereits vorliegende Studien und Daten
vergleicht. Demnach belegen diese Studien zwar Erfolge bei der
Korrektur von falsch stehenden Zähnen und positive Auswirkungen auf
die Lebensqualität der Patienten. Aber die langfristige Auswirkung
etwa auf Zahnausfall, das Karies-Risiko oder Parodontitis seien
bisher nicht oder zu wenig untersucht worden.

Ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte am
Donnerstag, dass das Ministerium nicht an der Notwendigkeit
kieferorthopädischer Leistungen zweifle. Dass Zahnspangen Probleme
wie Karies, Parodontitis oder Zahnverlust verringern, könne zwar
nicht belegt werden, sei aber der Untersuchung zufolge auch nicht
ausgeschlossen. «Prinzipiell bewertet den Nutzen einer Therapie nicht
der Gesetzgeber», hieß es weiter.

Kieferorthopädische Behandlungen kosten die gesetzlichen
Krankenkassen viel Geld - 1,115 Milliarden Euro waren es 2017. Dem
Gutachten zufolge stiegen die Kosten zuletzt von Jahr zu Jahr an,
obwohl die wichtigste Zielgruppe - Kinder und Jugendliche von 10 bis
20 Jahren - kleiner werde.

Die verschiedenen Daten zu den Behandlungskosten seien aber nur
eingeschränkt vergleichbar, heißt es in der Studie. «Auf Basis der
Daten kann daher nicht beurteilt werden, ob die Ausgaben in der
kieferorthopädischen Versorgung den Kriterien der Wirtschaftlichkeit
genügen.» Im Frühjahr hatte bereits der Bundesrechnungshof eine
unzureichende Erforschung des medizinischen Nutzens
kieferorthopädischer Behandlungen wie etwa Zahnspangen bemängelt.

Welche Leistungen der medizinischen Versorgung von den gesetzlichen
Krankenkassen erstattet werden, legt der sogenannte Gemeinsame
Bundesausschuss fest. Darin sind Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten,
Krankenhäuser und Krankenkassen vertreten. Eine kieferorthopädische
Behandlung wird bis zum 18. Lebensjahr von den gesetzlichen Kassen
übernommen, wenn Beißen, Kauen, Sprechen oder Atmen durch die
Zahnstellung erheblich beeinträchtigt sind oder beeinträchtigt zu
werden drohen. Ab dem 18. Lebensjahr zahlt die Krankenkasse nur bei
schweren Kieferanomalien.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) teilte am
Donnerstag mit, er habe schon früher darauf hingewiesen, dass die
Forschungslage «relativ dünn» sei. Für eine objektive
wissenschaftliche Prüfung brauche es aufwendige klinische Studien mit
korrekt gebildeten Vergleichsgruppen. Der GKV-Spitzenverband werde
prüfen, «ob ein Antrag zur Nutzenbewertung kieferorthopädischer
Leistungen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) sinnvoll ist»,
teilte eine Sprecherin mit. Abhängig vom Ergebnis könnten dann
gegebenenfalls die Leistungen angepasst werden.

Am Anfang der Behandlung steht meist der Zahnarzt, der feststellt,
dass etwas nicht stimmt, und an den Kieferorthopäden überweist. Als
Beispiel nannte der Vorsitzende des Berufsverbands der Deutschen
Kieferorthopäden, Hans-Jürgen Köning, etwa Probleme beim Sprechen,
weil Zähne nicht richtig stehen. Teils beginne die Behandlung schon
bei Vierjährigen. Eine Statistik, wie viele Menschen in Behandlung
seien, gebe es nicht - und auch die Kosten seien von Fall zu Fall
sehr unterschiedlich. Eine aktive Behandlung dauere meist 1,5 Jahre,
die Nachsorge gehöre aber auch dazu. Die Rede ist oft davon, dass
etwa jedes zweite Kind in Deutschland mal eine Zahnspange trägt.

«Wir haben keine Untersuchung, die sagt, wenn du nicht behandelt
wirst, dann kriegst du zu soundsoviel Prozent
Kiefergelenksbeschwerden, kannst später nicht kauen, verlierst deine
Zähne früher», sagte Köning der Deutschen Presse-Agentur. «Es feh
len
uns die unbehandelten Kontrollgruppen.» Zahnpflege, regelmäßige
Zahnarztbesuche und anderes wirke ebenfalls auf die Zähne ein.

Ziel sei bei jedem Patienten ein gut funktionierendes Gebiss,
erklärte Köning. Dann sei auch die Form in Ordnung, dann sehe es gut
aus. «Die ästhetische Korrektur ist in der Kieferorthopädie einfach
ein Nebenprodukt.» Eine rein ästhetische Behandlung, etwa das
Beseitigen einer Lücke zwischen Schneidezähnen, müsse ein Patient
selbst zahlen. Daten dazu gebe es nicht.