Birnen, Brüche, doppelter Boden - 200 Jahre Theodor Fontane Von Nada Weigelt, dpa

Theodor Fontane gilt als der wichtigste Vertreter des poetischen
Realismus. Seine Romane haben Menschen weltweit bewegt. Zu seinem
200. Geburtstag wird er groß gefeiert.

Berlin (dpa) - «Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein
Birnbaum in seinem Garten stand ...». Mit diesem Gedicht hat sich
Theodor Fontane ins nationale Gedächtnis eingeschrieben. Seine Romane
«Irrungen, Wirrungen», «Effi Briest» und «Der Stechlin» gehör
en zur
Weltliteratur. Und doch ist der große Dichter und Schriftsteller, der
«Goethe der Mark Brandenburg», ein wenig in Vergessenheit geraten.
Das Gedenkjahr 2019 zu seinem 200. Geburtstag gibt die Chance, ihn
noch einmal neu und von neuen Seiten zu entdecken.

Einige bereits 2018 erschienene Bücher sind eine Fundgrube dafür. So
verknüpft die langjährige Schweizer Fontane-Kennerin Regina
Dieterle in ihrer umfassenden Biografie («Theodor Fontane», Hanser

Verlag) Leben und Werk in einer doppelten Perspektive. Angefangen von
der Geburt des Apothekersohns am 30. Dezember 1819 in Neuruppin
verfolgt sie seinen wechselvollen Weg von der eigenen Apothekerlehre
über die jahrzehntelange journalistische Arbeit bis zur Emanzipation
als großer europäischer Romancier und Schriftsteller der jungen
Moderne. 

Dabei wird deutlich, wie sehr auch frühere Arbeiten die Grundlage f
ür
die späten Meisterwerke liefern. Das gilt besonders für die
Reisebeschreibungen «Wanderungen durch die Mark Brandenburg»,
die 1862 begannen und bis 1889 auf fünf stattliche Bände anwuchsen.
Die Geschichte und Geschichten, die Fontane hier mit einem besonderen
Gespür für die Menschen in der Region zusammenträgt, fließen spät
er
kunstvoll in die Altersromane ein.

In einer zweiten vielgelobten Biografie setzt der Potsdamer
Germanist Iwan-Michelangelo D'Aprile («Fontane», Rowohlt Verlag)
bewusst einen Kontrapunkt zu dieser regionalen Perspektive. Gerade
nach der Wiedervereinigung sei Fontane vor allem als Reise- und
Heimatschriftsteller vermarktet worden, schreibt er. Dagegen müsse
man ihn im Zusammenhang mit den tiefgreifenden sozialen und
technischen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts sehen, die sich
durchgehend in seinem Werk spiegeln. «Epochale Ereignisse, Schreiben

und Leben bilden bei Fontane eine untrennbare Einheit», heißt es. 

Eine Neubegegnung mit eigenen Texten des Schriftstellers erlauben die
Theaterkritiken, die der Aufbau Verlag mit Debora Helmer und Gabriele
Radecke auf mehr als 3000 Seiten erstmals umfassend zusammengestellt
und sorgsam ediert hat. Gesammelt sind alle 649 Besprechungen, die
Fontane ab 1870 vor allem für die liberale «Vossische Zeitung»
schrieb - mit dem für ihn typischen Wortwitz und dem leise-ironischen
Unterton. Im Laufe des Jubiläumsjahres sind bei zahlreichen
Verlagen weitere Veröffentlichungen und Neuausgaben angekündigt.

Für den Potsdamer Literaturwissenschaftler Prof. Peer Trilcke, den
Leiter des zur Universität gehörenden Fontane-Archivs, ist der Autor

der Erfinder des modernen Gesellschaftsromans. «Seine Bücher lassen
sich als gute Unterhaltung lesen. Es geht mit viel Herzschmerz um
große Themen wie Mord und Totschlag, Liebe und Ehebruch», sagt de
r
Germanist im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Aber
zugleich arbeiten die Texte immer mit einem doppelten Boden. Die
Figuren werden in ihren gesellschaftlichen Brüchen, in ihrem
Scheitern an den Regeln und Konventionen gezeigt.»

Trilcke gehört mit seinem Archiv zu den Organisatoren des
Fontane-Jahres. Die Universität Potsdam und die Brandenburgische
Gesellschaft für Kultur und Geschichte bieten gemeinsam mit
zahlreichen Programmpartnern vom 30. März bis zum eigentlichen
Geburtstag am 30. Dezember ein breites Veranstaltungsprogramm. Unter
dem Titel «fontane.200» sind Lesungen, Ausstellungen, Theaterstücke
und vieles mehr geplant. 

Im Mittelpunkt steht Fontanes brandenburgische Geburtsstadt
Neuruppin. In der Leitausstellung dort will die renommierte
Ausstellungskuratorin Heike Gfrereis (Literaturarchiv Marbach)
Fontanes Text- und Sprachwelt mit moderner Museusgestaltung «für alle
Sinne erschließen», wie es in der Ankündigung heißt. «Das ist
auf
alle Fälle eine Reise wert», sagt Prof. Trilcke. 

Auch in zahlreichen anderen Orten sind Jubiläumsprogramme geplant.
Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hat eigens eine App entwickelt, mit
der sich Literaturfreunde auf Entdeckungstour zu Fontane-Orten
begeben können. Unter dem Motto «Word & Play» sollen Jugendliche aus

ganz Deutschland ein Computerspiel entwickeln, das auch bei jungen
Menschen Neugier auf den Klassiker weckt.  

Wissenschaftlicher Höhepunkt ist auf Einladung des Fontane-Archivs
eine Konferenz in Potsdam (13.-16. Juni), bei der sich rund 200
internationale Experten mit den Medien beschäftigen wollen, die
die Arbeit des «Wortsammlers» und «Schreibdenkers» geprägt habe
n. 

Wer am Ende einen stillen Abschluss des Jubiläumsjahres sucht, kann
sein Grab auf dem Friedhof der Französischen Gemeinde in der
Liesenstraße in Berlin-Mitte besuchen. Dort ist der von Hugenotten
abstammende Schriftsteller (1819-1898) mit seiner 1902 gestorbenen
Frau Emilie beigesetzt. Allerdings: Zu Kriegsende hatte ein
Artillerievolltreffer das Grab unwiederbringlich zerstört. Es wurde

mit Detonationsgeröll aufgefüllt.