Zankapfel 219a: Ein wackeliger Kompromiss Von Theresa Münch und Georg Ismar, dpa

SPD-Chefin Nahles ist schwer unter Druck: Wenn der nun vorgelegte
Regierungsvorschlag im Streit um das Werbeverbot für Abtreibungen
nicht überzeugt, könnte die Regel gegen den Willen der Union
abgeschafft werden. Das wäre fast der Casus Belli für die Koalition.

Berlin (dpa) - Es ist eine eher kleine Sachfrage, die die fragile
große Koalition auf eine nächste Belastungsprobe stellt. Eine Ärzti
n,
die eine Datei mit Infos über einen Schwangerschaftsabbruch zum
Herunterladen angeboten hat, wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.
Nach monatelangen Überlegungen hat die Bundesregierung nun einen
Kompromiss für mehr Rechtssicherheit vorgelegt - doch ob der gerade
die SPD-Abgeordneten überzeugt, muss sich erst noch zeigen.

Um was geht es im umstrittenen Paragrafen 219a?

Er verbietet im Strafgesetzbuch Werbung für Schwangerschaftsabbrüche
- dabei fasst er den Begriff Werbung weiter als im Sprachgebrauch
üblich. So macht man sich schon strafbar, wenn man etwa «seines
Vermögensvorteils wegen» öffentlich Schwangerschaftsabbrüche
anbietet. Dafür wurde auch die Ärztin aus Gießen verurteilt. Zuvo
r
fristete der Paragraf 219a lange Zeit ein Schattendasein. 

Nun gibt es einen Kompromiss, wie sieht der aus?

Fünf Punkte umfasst die Lösung. «Frauen, die ungewollt schwanger
werden, brauchen Hilfe und Unterstützung», heißt es darin - aber
Kanzleramtsminister Helge Braun betont für CDU/CSU: «Werbung für

einen Schwangerschaftsabbruch darf es jedoch auch in Zukunft nicht
geben.» Aber man will die Information für betroffene Frauen rasch
verbessern. «Deshalb werden wir rechtlich ausformulieren, dass und
wie Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser über die Tatsache
informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen und

(...) auf Informationen (...) hinweisen dürfen», heißt es im
Kompromisspapier, an dem auch Innenminister Horst Seehofer
(CSU), Justizministerin Katarina Barley (SPD) und Familienministerin
Franziska Giffey (SPD) mitgewirkt haben.

Also «Werbung» nein, dafür bessere Information?

Das ist der Leitgedanke. Frauen, die eine Abtreibung wollen, sollen
schnell einen Arzt oder eine medizinische Einrichtung finden, in der
sie den Eingriff vornehmen lassen können. «Deshalb wollen wir die
Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung mit der Aufgabe betrauen, für Betroffene entsprechende
Kontaktinformationen zur Verfügung zu stellen.» Dieser
Informationsauftrag soll bis Januar gesetzlich verankern werden.
Zudem sollen Abtreibungsärzte besser qualifiziert werden und eine
Studie soll seelische Folgen von Abtreibungen analysieren. Der
Paragraf 219a soll ergänzt und Paragraf 13 des
Schwangerschaftskonfliktgesetz geändert werden. Im Januar soll ein
Gesetzentwurf vorliegen.

Sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland generell legal?

Nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches sind Abtreibungen meist
rechtswidrig - sie werden aber unter bestimmten Bedingungen nicht
bestraft. Die Schwangere muss selbst den Abbruch verlangen und sich
mindestens drei Tage vor dem Eingriff in einer staatlich anerkannten
Stelle beraten lassen. Außerdem dürfen seit der Befruchtung nicht
mehr als zwölf Wochen vergangen sein. Im ersten Halbjahr 2018 gab es
rund 52 000 Abtreibungen in Deutschland.

Wird die Lösung den Streit befrieden?

Das muss sich noch zeigen. Die SPD hat schon im Frühjahr einen
Gesetzentwurf zur Aufhebung des Werbeverbots vorgelegt, auch Grüne,
Linke und FDP wollen den Paragrafen am liebsten abschaffen. Ärzte
müssten objektiv über einen in Deutschland straffreien Eingriff
informieren dürfen, argumentieren sie. Die SPD hat ihren Antrag im
März allerdings aus Rücksicht auf die Union zurückgezogen. Denn die
Union will das Werbeverbot auf keinen Fall einschränken. SPD-Chefin
Andrea Nahles versprach eine Lösung bis zum Herbst, der endet im
Kalender am 21. Dezember. Entschieden werden soll nun im Januar - die
Fraktionen von Union und SPD müssen dann im Bundestag Farbe bekennen.

Was passiert, wenn der Kompromiss durchfällt?

In der SPD rumort es heftig, der Vorsitzende der NRW-SPD, Sebastian
Hartmann, ist wie Genossen in Niedersachsen für eine Freigabe der
Entscheidung, als Frage des Gewissens. Das würde dann mit Linken,
Grünen und FDP auf eine Abschaffung des 219a hinauslaufen. Aber es
ist auch eine Machtfrage, Nahles wird intern kritisiert, ihr wird ein
zu softer Kurs gegenüber der Union vorgeworfen. Sie will verhindern,
dass die SPD nicht zusammen mit der CDU/CSU abstimmt - denn das
könnte die Koalition an den Abgrund führen. Aber beide Seiten könnten

bei einer getrennten Abstimmung auch ihr jeweiliges Profil schärfen,
statt windelweiche Kompromisse einzugehen. So wie die SPD mit der
Opposition in der vergangenen Wahlperiode die «Ehe für alle», die

Öffnung der Ehe für Homosexuelle, ermöglichte. Aber wie damals droht

der Union auch jetzt eine Pleite - nur die AfD ist an ihrer Seite. 

Was sagt die katholische Kirche? 

Sie lehnt eine Änderung oder Streichung des Paragrafen 219a ab. Der
Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin, Prälat
Karl Jüsten, sagt: «Eine staatliche kontrollierte und finanzierte
Beratung einerseits und eine weitgehend unkontrollierte, private
Werbung andererseits sind miteinander schlicht nicht vereinbar.»

Wie reagiert die Opposition auf den Streit?

FDP-Chef Christian Lindner will gerade die SPD vorführen, am
Donnerstag stellt die FDP die Abschaffung des «Werbeverbots» im
Bundestag zur Abstimmung. Die Koalitionsmehrheit kann den Antrag aber
zunächst in die Ausschüsse verweisen. Zum Schwur kommt es wohl eher
im Januar - nach dem Weihnachtsfrieden. Das Thema betrifft zwar viele
Bürger nicht und spielt in den meisten Wahlkreisen keine Rolle, aber
es geht hier gerade auch um das eigene Profil. So will die neue
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer das konservative Profil der
Union schärfen - und bei der SPD möchten viele einen kleinen Triumph

über die Union, um mal wieder etwas Mut zu schöpfen. Daher ist das
219a-Thema so heikel.