Schicksalsparteitag um Merkels CDU-Erbe Von Jörg Blank und Ruppert Mayr, dpa

Die meisten in der CDU rechnen mit einem Fotofinish: Die Entscheidung
der 1001 Delegierten über die Nachfolge von Angela Merkel als
Parteichefin dürfte knapp werden. Droht eine Spaltung der Partei?

Berlin/Hamburg (dpa) - Es ist ein Schicksalsparteitag für die CDU.
Nach 18 Jahren endet an diesem Freitag die Ära von Angela Merkel als
CDU-Vorsitzende. Das Vierteljahrhundert an der Parteispitze wie bei
ihrem CDU-Vorgänger Helmut Kohl ist es nicht geworden - aber das
wollte die Kanzlerin wohl auch gar nicht. Doch wenn am späten
Nachmittag die 1001 Delegierten in Hamburg erstmals seit 47 Jahren in
einer Kampfabstimmung darüber entscheiden können, wer die Partei in
die Zukunft führen soll, geht es auch um ihr Erbe.

Dabei steht in der Hamburger Messe nicht so sehr das Schicksal von
Merkel selbst auf der Tagesordnung - sie hat angekündigt, als
Kanzlerin bis zum ordnungsgemäßen Ende der Legislatur 2021 zur
Verfügung zu stehen. Nachdem Merkel vor sechs Wochen erklärt hat,
entgegen jahrelanger Überzeugungen doch Vorsitz und Kanzlerschaft zu
trennen, wirkt sie bei vielen Auftritten fast wie befreit. Im
Bundestag hält die Kanzlerin Reden in einer Deutlichkeit, die sich
viele ihrer Kritiker seit Jahren gewünscht haben. Gegenüber
schwierigen internationalen Gesprächspartnern wie dem Russen Wladimir
Putin scheinen ihre kritischen Worte noch deutlicher als früher.

Was hat Merkel ihrer CDU seit dem Parteitag im Jahr 2000, als sie in
Essen mit überwältigender Mehrheit erstmals zur Vorsitzenden gewählt

worden war, nicht alles zugemutet. Atomausstieg, Aussetzung der
Wehrpflicht, Frauenquote, Homosexuellen-Ehe und seit 2015 noch ihre
umstrittene Migrationspolitik: Für besonders Konservative in der CDU
war vieles ein Gräuel.

Nachdem Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz direkt am Tag von
Merkels Ankündigung eines Ausstiegs auf Raten seinen Hut in den Ring
geworfen hatte, wirkte es fast, als seien viele Konservative in der
Partei endlich aus jahrelanger Lethargie erwacht. Ein regelrechter
Merz-Hype brach los. Nun wird man in Hamburg sehen, ob daraus
tatsächlich ein neuer konservativer Aufbruch werden könnte. Viele
Delegierte werden sich die Entscheidung wohl nicht leicht machen, ob
sie ihr Kreuzchen bei Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer,
Merz oder Gesundheitsminister Jens Spahn setzen.

Was die Partei in den vergangenen Wochen erlebt hat, wird von manchen
in der CDU beschrieben wie der Effekt, als seien in einem
überheizten, muffigen Raum die Fenster aufgerissen worden. In acht
Regionalkonferenzen stellten sich Merz, AKK - wie Kramp-Karrenbauer
in der Partei genannt wird - und Spahn dem Parteivolk vor. Die
Tournee der Hoffnungsträger verlief weitgehend fair. Endlich werde
wieder offen diskutiert und auch mal gestritten, war von vielen zu
hören.

Was nun am Freitag mit der Wahl seinen Endpunkt findet, wird in
Teilen der Partei als Kampf der politischen Lager beschrieben. Ob das
tatsächlich so ist, dürfte sich wohl erst dann zeigen, wenn die oder
der neue Vorsitzende in der Alltagspolitik angekommen ist. Dass Merz
- als Parteichef eingebunden in eine wackelige große Koalition mit
schwierigen Partnern von SPD und CSU - wirklich einen konservativen
«Rollback» versuchen werde, bezweifeln viele. Ein solches völliges
Zurückdrehen der Zeiten werde es auch mit dem Sauerländer nicht
geben, heißt es im Kreis seiner Anhänger.

Und dass die frühere saarländische Ministerpräsidentin
Kramp-Karrenbauer tatsächlich nur eine «Mini-Merkel» sei, wie manche

ihrer Gegner behaupten, glauben sie selbst in der Spitze der
Schwesterpartei CSU nicht - wo viele lieber Merz als CDU-Chef sähen.

Dass die Abstimmung aber tatsächlich Potenzial zur Spaltung hat, wird
in der CDU kaum bezweifelt. Alle drei Kandidaten warnen davor, dass
sich die Verlierer zulasten der Partei in den Schmollwinkel
zurückziehen. Vieles dürfte davon abhängen, ob der Gewinner mit
seinem Vorschlag für den Posten des Generalsekretärs ein
Einigungssignal senden kann.

Könne die Parteibasis entscheiden, würde das Ergebnis wohl schon
feststehen, glauben auch erfahrene Leute aus dem AKK-Lager vor dem
Parteitag: Nach der Stimmung bei den Regionalkonferenzen zu urteilen,
liege Merz bei den Mitgliedern vorn. Und auch unter den Delegierten,
die etwa als Mandatsträger wohl genau abwägen werden, welcher
Kandidat ihrer CDU bei künftigen Wahlen am meisten Wähler
zurückbringen - und damit auch ihre Posten sichern - dürfte, gebe es
wohl eine leichte Präferenz pro Merz, glauben Insider, die gern einen
Erfolg der Saarländerin sehen würden.

Aber sicher ist nichts - es wird mit einem Fotofinish im Kampf um
Merkels Erbe gerechnet, inklusive Stichwahl. Spahn, das gilt als so
gut wie sicher, wird am Ende wohl nicht neuer Vorsitzender sein. Aber
ein Achtungserfolg mit zweistelligem Ergebnis im ersten Wahlgang wird
ihm zugetraut. Mit seinen Auftritten vor der Parteibasis habe er sich
jedenfalls für die Zukunft empfohlen. «Er wird verlieren, aber er hat
auch gewonnen: an Profil», heißt es selbst unter jenen, die nicht zu
seinen Fans gehören.

Mit Spannung wird erwartet, ob Merz oder AKK nicht doch schon im
ersten Wahlgang die nötige Mehrheit von mehr als 50 Prozent der
abgegebenen gültigen Delegiertenstimmen erhält. Schafft es keiner von
beiden, ist die große Frage, wohin die Spahn-Fans tendieren.
Eigentlich zu Merz, müsste man meinen, beide gehören schließlich zu
den als besonders konservativ geltenden CDU-Männern. Auf 80 bis 85
Prozent wird bei CDU-Insidern das Potenzial jener Spahn-Wähler
geschätzt, die tatsächlich in einer Stichwahl bei Merz ihr Kreuzchen
machen würden.

Es gebe aber eben auch jene im Umfeld des jungen Gesundheitsministers
oder bei seinen Fans in der Jungen Union, die AKK und ihr Engagement
für die Partei gut fänden, heißt es da. Manche der Spahn-Anhänger
dürften sich im Zweifelsfall auch nochmals fragen, wo Merz denn
eigentlich seit seinem Abgang aus der Politik vor knapp zehn Jahren
gewesen ist und vor allem, was er für die CDU getan hat.

Dass ausgerechnet Wolfgang Schäuble, als Parlamentspräsident
parteiübergreifend geschätzter CDU-Grande, sich am Dienstag in einem
Interview öffentlich für Merz als Merkel-Nachfolger ausgesprochen
hat, wird in der Partei zwiegespalten bewertet. Ohnehin war bekannt,
dass der 76-Jährige Merz' Ambitionen unterstützt. Die einen sehen in
der offenen Parteinahme Schäubles ein gewichtiges Argument - es
könnte einige unter den vielleicht 10 Prozent unentschiedenen
Delegierten auf die Seite von Merz ziehen.

Andere fürchten, Schäubles Worte könnten auch nach hinten losgehen.
Zu früh habe er sich geäußert, drei Tage bis zur Wahl seien in diesen

Zeiten eine lange Spanne. Von anderen ist zu hören, Schäuble könne
auch den Eindruck verstärkt haben, es gehe bei der Kandidatur von
Merz lediglich um «Rache der alten Männer» an Merkel, die aus deren
Sicht viele Karrieren aus der Generation Merz zunichte gemacht habe.
«Wir machen ja nun keine Revival-CDU», hieß es beispielsweise.