Merkel IV. - eine Regierung im Streitmodus Von Jörg Blank und Carsten Hoffmann, dpa

Die Zusammenarbeit von Union und SPD steht nach einem Jahr der
Konflikte und Personalquerelen auf tönernen Füßen. Die Erneuerung der

SPD aus einer Regierungsrolle heraus und die Wechsel in der Führung
der Union werfen Frage auf. Was wird 2019 aus der großen Koalition?

Berlin (dpa) - Es war ein Jahr der politischen Dauerkrisen und
Paukenschläge - und auch 2019 dürfte für Kanzlerin Angela Merkel und

SPD-Chefin Andrea Nahles nicht einfacher werden. Nach den vor gut
einem Jahr geplatzten Jamaika-Verhandlungen von CDU/CSU, FDP und
Grünen ist auf der politischen Bühne in Berlin kaum ein Stein auf dem
anderen geblieben. Gleich zwei veritable Regierungskrisen mussten die
beiden Politikerinnen in ihrer schwarz-roten Koalition in den wenigen
Monaten seit der vierten Wahl Merkels zur Kanzlerin schon überstehen.

Zum Jahresausklang ist angesichts des bevorstehenden Führungswechsels
in der CDU völlig unklar, ob die GroKo das nächste Jahr übersteht -
oder ob nicht doch eine rasche Neuwahl vielleicht im Herbst ansteht.
Viel dürfte davon abhängen, ob in der SPD jene Kräfte Oberhand
gewinnen, die das Heil der Partei angesichts der katastrophalen
Wahlergebnisse und Umfragewerte nur noch in der Opposition sehen. Im
Mai sind Europawahlen, im September und Oktober werden in
Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtage gewählt.

Schon jetzt ist absehbar, dass zwei Dauerthemen des Jahres auch die
politische Agenda 2019 bestimmen werden: der Aufstieg der AfD, die
mittlerweile in allen Landtagen und im Bundestag sitzt. Und damit eng
verbunden der Umgang mit dem Thema Flucht und Migration, das die
Rechtspopulisten nutzen, um Sorgen und Ängste in der Bevölkerung zu
schüren.

Ein Rückblick: Schon die Koalitionsverhandlungen waren für Merkel,
die Union und die SPD ein quälend langer Prozess. Eigentlich hatte
der damalige SPD-Chef und Spitzenkandidat Martin Schulz direkt nach
der Bundestagswahl im September 2017 verkündet, man werde auf keinen
Fall in eine erneute Koalition mit der Union ziehen. Doch nach dem
Scheitern von Jamaika war die Lage anders - die Sozialdemokraten
mussten sich einen neuen Vorsitzenden suchen, bei den Verhandlungen
über die GroKo klang immer mit, dass die SPD diese ja eigentlich gar
nicht wollte.

Anfang März gab die SPD-Basis dann endlich grünes Licht für die neue

Regierung mit CDU und CSU, in einer Mitgliederbefragung stimmten 66
Prozent der Teilnehmer dafür. Merkel konnte weiterregieren. Am 14.
März wurde sie vereidigt - doch aus dem im Koalitionsvertrag
versprochenen «Aufbruch für Europa» und der neuen «Dynamik für
Deutschland» wurde erstmal nichts. Zwar brachten CDU, CSU und SPD
einige Reformen auf den Weg, doch in der Öffentlichkeit blieb vor
allem eines hängen: der Dauerstreit in Union und Koalition.

Kurz vor der Sommerpause scheiterte Merkels Koalition fast an der
Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer, bereits in anderen Staaten
registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Auch
im nationalen Alleingang wollte er dies tun, während für Merkel nur
eine europäische Lösung in Frage kam. Nur mit Ach und Krach konnte
der Konflikt beigelegt und die Unionsgemeinschaft im Bundestag
erhalten werden - in der CSU gab es damals sogar Gedankenspiele, die
jahrzehntelange traditionelle Zusammenarbeit mit der CDU zu beenden.

Doch direkt nach dem Sommerurlaub war der Streit wieder da, als
Seehofer die Migration zur «Mutter aller politischen Probleme» in
Deutschland erklärte - und damit Merkel meinte. Zusätzlich befeuert
wurde der Streit durch ausländerfeindliche Ausschreitungen in
Chemnitz und in diesem Zusammenhang relativierende Äußerungen des
damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Dienstherr
Seehofer stellt sich zunächst hinter Maaßen.

Als Seehofer Maaßen Ende September dann doch aus dem Amt nehmen und
ihn auf den höher dotierten Posten eines Staatssekretärs im
Innenministerium wegloben wollte, stimmten Merkel und Nahles zunächst
zu. Wenig später mussten beide Frauen zugeben, dass sie die Stimmung
in der Bevölkerung völlig falsch eingeschätzt hatten. Aus der durch
den Umgang mit Maaßen ausgelösten zweiten Regierungskrise innerhalb
weniger Monate kamen Merkel und Nahles nur heraus, indem sie Fehler
einräumten. Maaßen wurde letztendlich in den einstweiligen Ruhestand
versetzt.

Die dramatischen Verluste von Union und SPD bei den Landtagswahlen in
Bayern am 14. Oktober und in Hessen zwei Wochen später brachten in
der Koalition und vor allem in der Union eine Dynamik in Gang, deren
Ende noch nicht absehbar ist. Dass etwas ins Rutschen gekommen war,
musste Merkel spätestens am 29. September klar geworden sein. Gegen
ihren ausdrücklichen Willen servierte die Unionsfraktion an diesem
Tag in einer Kampfabstimmung ihren Vertrauten Volker Kauder als
Fraktionschef ab - und wählte den zuvor vor allem Finanzexperten
bekannten Nordrhein-Westfalen Ralph Brinkhaus zum Nachfolger.

Die Kanzlerin zog selbst die Notbremse: Am 29. Oktober verkündete sie
ihrem Präsidium und später der Öffentlichkeit, dass sie nach 18
Jahren als CDU-Vorsitzende beim Parteitag im Dezember nicht erneut
für dieses Amt kandidieren werde. Es folgte ein Dreikampf um ihr
parteipolitisches Erbe zwischen Generalsekretärin Annegret
Kramp-Karrenbauer, Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz und
Gesundheitsminister Jens Spahn - Ausgang völlig offen.

Was der Wechsel im CDU-Vorsitz für die Statik der ohnehin wackeligen
Koalition mit der SPD bedeutet, steht ebenfalls noch in den Sternen.
Nahles steht parteiintern unter Druck. Doch will man wirklich
Neuwahlen riskieren? Bei Umfragewerten von derzeit um die 14 Prozent?
Aber dass Merkel tatsächlich wie angekündigt bis zum planmäßigen En
de
der Koalition im Jahr 2021 Kanzlerin bleiben wird, glauben selbst in
der CDU-Spitze wohl nur wenige.

Umbruch auch in der zweiten Unionspartei: Die schweren Verluste bei
der Landtagswahl in Bayern brachten das Fass bei der CSU endgültig
zum Überlaufen. Schon lange hatten sich viele Christsoziale von ihrem
Vorsitzenden Seehofer abgewendet. Seine Rempeleien auf der Berliner
Bühne wurden auch in der Heimat immer weniger goutiert. Um das
politische Alphatier wurde es seit Monaten einsamer. Am Ende blieb
ihm nur der Verzicht auf den Parteivorsitz - doch wie Merkel will
Seehofer sein Regierungsamt behalten. Und wie sich bei Merkel viele
nicht vorstellen können, dass sie bis zum Ende der Wahlperiode
durchhält, gilt das auch bei Seehofer als wenig wahrscheinlich.

Sollte die Koalition zerbrechen, rücken die Grünen in den Fokus. Dass
die FDP eine Jamaika-Neuauflage ohne Merkel will, macht ihr Chef
Christian Lindner ziemlich deutlich. Die Grünen dagegen dürften kaum
bereit sein, auf Basis ihrer 8,9 Prozent von der Bundestagswahl zu
verhandeln, da sie in Umfragen jetzt bei über 20 Prozent liegen. Klar
ist: Die Partei hält sich bereit. Jemand an der Grünen-Spitze spricht
vom Bibel-Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen, in dem
es darum geht, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Es endet
mit den Worten: «Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.»
Angesichts der Lage sicher kein schlechter Rat - für alle Parteien.