Wie sicher sind Medizinprodukte? - Politik will nachsteuern Von Sandra Trauner, dpa

Herzschrittmacher, künstliche Hüftgelenke oder Brustimplantate: Nach
den Recherchen eines weltweiten Mediennetzwerks sind die Kontrollen
bei Medizinprodukten zu lax. Das führe zu Problemen, Leidtragende
seien die Patienten.

Berlin (dpa) - Nach den «Panama Papers» sorgen nun die «Implant
Files» für Aufsehen. Ein weltweites Recherchenetzwerk hat sich
Zulassung, Kontrolle und Fehlermanagement von Medizinprodukten
angesehen. Das Ergebnis schlug am Montag hohe Wellen, auch in der
Politik. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:

Was hat das Netzwerk recherchiert?

An den «Implant Files» waren 60 Medien beteiligt, darunter in
Deutschland NDR, WDR und «Süddeutsche Zeitung». Sie haben nach
eigenen Angaben eineinhalb Jahre recherchiert, in 36 Ländern Anfragen
eingereicht, Tausende Akten gesichtet und mit Hunderten Patienten und
Experten gesprochen.

Was haben sie herausgefunden?

Der Kernvorwurf: Im Gegensatz zu Arzneimitteln, die vor der Zulassung
genauestens geprüft werden, würden Medizinprodukte nicht von
staatlichen Stellen kontrolliert und Probleme nicht systematisch
erfasst. Das System sei «manipulierbar, fehlerhaft und verantwortlich
für ungezählte Tote», schreibt die «Süddeutsche Zeitung».

Um welche Produkte geht es?

Im weitesten Sinne um Medizinprodukte - also alles, womit Kranke
behandelt werden, ohne dass es Arzneimittel sind, vom Rollstuhl bis
zum Pflaster. Im engeren Sinne geht es um Implantate - also Produkte,
die dauerhaft in den Körper eingesetzt werden, wie Herzkatheter,
Kniegelenke oder Insulinpumpen. Die Medizinprodukte sind in vier
Risikogruppen aufgeteilt - vom geringen Risiko (Thermometer) bis zum
sehr hohen Risiko (Brustimplantat).

Wie läuft das Prüfverfahren ab?

Ein Medizinprodukt muss laut Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) kein behördliches Zulassungsverfahren
durchlaufen. Der Hersteller muss nur nachweisen, «dass sein Produkt
sicher ist und die technischen und medizinischen Leistungen auch so
erfüllt, wie sie von ihm beschrieben werden». Teil des
Bewertungsverfahrens sei aber «immer eine klinische Bewertung, in
bestimmten Fällen auch eine eigene klinische Prüfung».

Wer prüft?

Das BfArM nennt sie «benannte Stellen» - laut Recherchenetzwerk sind
es rund 50 private Anbieter wie TÜV oder Dekra. Das von ihnen
vergebene «CE»-Kennzeichen sei aber «kein Gütesiegel für den
Patientennutzen, sondern ein Vermarktungssiegel», wird ein
Gesundheitswissenschaftler zitiert. Viele Anträge werden den
Recherchen zufolge zudem nur auf dem Papier geprüft.

Und wenn es später Probleme gibt?

Laut BfArM müssen Hersteller, Betreiber und Anwender «Vorkommnisse»
den zuständigen Behörden melden. «Es gibt eine Pflicht zu melden, und

wenn dieser Pflicht nicht nachgekommen wird, dann ist das ein
Versäumnis der Anwender», sagte ein Sprecher des
Bundesgesundheitsministeriums am Montag in Berlin.

Wie oft kommt es zu Komplikationen?

In Deutschland seien im vergangenen Jahr 14 000 Fälle gemeldet
worden, bei denen es zu Verletzungen, Todesfällen oder anderen
Problemen gekommen sei, die im Zusammenhang mit Medizinprodukten
stehen könnten, steht in den «Implant Files». Das BfArM berichtete
2016 von 12 000 Fällen.

Was sagen die Hersteller?

«Das regulatorische System für Medizinprodukte enthält damit gleich
hohe, teilweise höhere Anforderungen als an Arzneimittel», teilt der
Bundesverband Medizintechnologie mit. Der größte deutsche Hersteller
Medtronic schreibt auf seiner Homepage: «Unsere Produkte unterliegen
auch umfangreichen Tests, Bewertungen und Freigaben oder der
Zulassung durch die jeweiligen Aufsichtsbehörden.»

Wie reagiert die Politik?

«Das Bundesgesundheitsministerium nimmt diese Berichte sehr ernst»,
hieß es am Montag bei der Bundespressekonferenz. Gesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) sagte der «Rheinischen Post» (Dienstag), das BfArM
habe bei Problemen mit einem Medizinprodukt keinen Gesamtüberblick
über vergleichbare Fälle und auch keine Chance, Patienten gezielt zu
warnen: «Das wollen wir ändern.»

Was genau soll geschehen?

Laut Gesundheitsministerium wird eine industrieunabhängige Stelle
aufgebaut, bei der alle verbauten Implantate gemeldet werden müssen.
Außerdem plant der Bund seit längerem ein staatliches Register, um
die Qualität von Brustimplantaten, Herzklappen und Herzschrittmachern
zu ermitteln. Das Register soll zeigen, wie lange Implantate halten -
anhand von Daten zu Implantationen und Folge-OPs für Korrekturen, die
Kliniken, Krankenkassen und Hersteller verpflichtend liefern sollen.

Führen soll es das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation
und Information (Dimdi). Ab Mai 2020 muss auch eine neue Europäische
Medizinprodukte-Verordnung umgesetzt werden. Darin gelten unter
anderem höhere Anforderung an die Zertifizierungsstellen;
Hochrisikoprodukte müssen bei der klinischen Bewertung von
internationalen Experten beurteilt werden.