Spahn verspricht Patienten mehr Sicherheit bei Implantaten

Wie gefährlich sind Implantate? Enthüllungen zu Gesundheitsschäden
und Todesfällen durch fehlerhafte Medizinprodukte beschäftigen die
Politik. Berlin gibt Defizite zu.

Berlin/Brüssel (dpa) - Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
will angesichts von Problemen mit Implantaten für mehr Transparenz
bei Medizinprodukten sorgen. «Wir bauen eine industrieunabhängige
Stelle auf, bei der alle verbauten Implantate gemeldet werden
müssen», sagte Spahn der «Rheinischen Post» (Dienstag). Zugleich
räumte er Defizite ein.

Gebe es heute Probleme mit einem Medizinprodukt, habe das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) «keinen
Gesamtüberblick über alle vergleichbaren Fälle». Das Institut habe
in
der Folge auch keine Chance, Patienten gezielt vor Fehlern zu warnen.
Mit dem Register soll außerdem nachgeprüft werden können, wie lange
Implantate halten.

Die Sender NDR und WDR sowie die «Süddeutsche Zeitung» hatten
gemeinsam mit internationalen Medienkollegen berichtet,
Verdachtsfälle zu Verletzungen oder tödlichen Folgen fehlerhafter
Medizinprodukte nähmen stark zu. Es geht zum Beispiel um nicht
haltbare Hüftimplantate oder Prothesen. In Deutschland seien im
vergangenen Jahr 14 034 Verdachtsfälle gemeldet worden.

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sehen ein
grundsätzliches Problem. «Bei Medizinprodukten kommen
Scheininnovationen und sogar schädliche Produkte viel zu leicht in
die Versorgung. Es gibt keine sicheren Regeln und Vorgaben, die das
verhindern», kritisierte Doris Pfeiffer, die Vorstandsvorsitzende des
GKV-Spitzenverbandes. «Hier hat die Politik seit Jahren trotz
zahlreicher Mahnungen viel zu wenig getan. Auch die gesetzliche
Krankenversicherung hat mehrfach auf diese Probleme hingewiesen.»

Die EU-Kommission forderte eine bessere Umsetzung von Regeln und
Kontrollen. Auf EU-Ebene sei als Konsequenz aus dem Skandal um
geplatzte Brustimplantate 2017 ein neues Regelwerk beschlossen
worden, sagte eine Sprecherin am Montag. «Aber die Geschichte ist
noch nicht vorbei. Wie immer ist natürlich die Umsetzung der
entscheidende Punkt.»

Die EU-Staaten, Hersteller und Ärzte seien aufgefordert, die
strengeren Qualitäts- und Sicherheitsstandards anzuwenden und ihre
Arbeit transparenter zu machen, betonte die Sprecherin. Die Reform
setze vor allem auf striktere Kontrollen von Medizinprodukten vor und
nach dem sogenannten Inverkehrbringen. Darüber hinaus gebe es mit
Eudamed erstmals eine Datenbank, um die Aufsicht über Medizinprodukte
zu unterstützen. «Patientensicherheit ist ein Thema, das die
Kommission sehr ernst nimmt», versicherte die Sprecherin.

Auch das Bundesgesundheitsministerium nehme die Berichte sehr ernst,
sagte ein Ressortsprecher. «Jeder einzelne dort beschriebene Fall ist
tragisch und einer zuviel.» Auf EU-Ebene sei die
Medizinprodukte-Richtlinie überarbeitet und durch zwei Verordnungen
ersetzt worden, «die in weiten Teilen im Mai 2020 ihre Wirkung
entfalten».

So werde es bei der Auswahl und Qualitätskontrolle der
Zertifizierungsstellen einen neuen Prüfungsprozess geben. «Diese
konnten bislang von den einzelnen EU-Staaten mehr oder weniger in
Eigenregie benannt werden. Das wird geändert», sagte er. Zweiter
Ansatzpunkt seien die Medizinprodukte selbst, die künftig zusätzlich
von einem internationalen Expertenpanel überprüft würden. In hohen
Risikoklassen müssten zudem klinische Studien regelhaft vorgelegt
werden. Der Sprecher forderte, Probleme mit Implantaten zu melden.
«Es gibt eine Pflicht zu melden, und wenn dieser Pflicht nicht
nachgekommen wird, dann ist das ein Versäumnis der Anwender.»

In Deutschland sind den Berichten zufolge im vergangenen Jahr 14 034
Fälle gemeldet worden, bei denen es zu Verletzungen, Todesfällen oder
anderen Problemen gekommen sei, die im Zusammenhang mit
Medizinprodukten stehen könnten. Diese Verdachtsfälle nähmen stark
zu, berichteten NDR, WDR und «Süddeutsche Zeitung». Die Recherchen
wurden unter dem Titel «Implant Files» weltweit veröffentlicht.

Die Zunahme der Meldezahlen wird seit Jahren von der zuständigen
Behörde BfArM registriert und auch veröffentlicht. Die aktuellste
Zahl auf der Webseite ist von 2016, als 12 000 Fälle gemeldet wurden.

Allerdings hat das Institut nach eigener Darstellung bei seinen
Überprüfungen in der Vergangenheit festgestellt, dass bei rund 40
Prozent der Fälle das gemeldete Problem nicht von dem Medizinprodukt
ausgegangen sei. Es sei also im rechtlichen Sinne kein
meldepflichtiges «Vorkommnis» gewesen. So bezeichnet das Institut
beispielsweise eine Funktionsstörung oder unsachgemäße Bezeichnung
eines Medizinproduktes, die zum Tod oder zur Verschlechterung des
Gesundheitszustands eines Patienten geführt haben könnte.