«Es grenzt an ein Wunder» - Europas jüngstes Frühchen geht zur Schu le Von Jörn Perske, dpa

Extrem unreif geborene Babys haben geringe Chancen, zu überleben und
sich normal zu entwickeln. Die kleine Frieda überstand ihre Geburt
nach etwas mehr als 21 Wochen mit Bravour. Sie ist gesund. Jetzt ist
sie acht. Ein neuer Lebensabschnitt hat begonnen.

Fulda (dpa) - Der Mediziner schaut dem Mädchen gern beim Spielen zu.
Die kleine Frieda erkundet den Körper eines Teddybären und verpasst
ihm eine Spritze zur Genesung. Reinald Repp sitzt neben ihr in einem
Spielzimmer des Klinikums Fulda und beobachtet Europas jüngstes
Frühchen mit stiller Freude. Immer wieder huscht ein Lächeln über
sein Gesicht. Etwa wenn Frieda ein Organ aus dem Medizin-Kuscheltier
herauszieht.

Was er bei Friedas Anblick empfindet? Der Direktor der Fuldaer Klinik
für Kinder- und Jugendmedizin sagt: «Dass wir das erleben dürfen,
erfüllt mein Team und mich mit tiefer Dankbarkeit. Es grenzt nach wie
vor an ein Wunder, dass sie so gesund und munter ist.» Frieda wirkt
zwar wie ein normales Mädchen. Aber ihre Lebensgeschichte ist
besonders.

Frieda kam im November 2010 als Europas jüngstes Frühchen zur Welt.
Statistisch hatte sie eine bescheidene Überlebenschance. Normale
Schwangerschaften dauern 40 Wochen. Aber Frieda wurde bereits nach 21
Wochen und fünf Tagen entbunden. Sie war 26 Zentimeter groß und wog
460 Gramm - weniger als zwei Päckchen Butter. «Bis heute gibt es in
Europa laut der Forschungsliteratur kein jüngeres Frühchen als
Frieda», bestätigt Repp. In den USA sei ein Kind 2014 noch einen Tag
früher zur Welt gekommen.

Solche extrem unreifen Kinder sind kaum lebens- und
entwicklungsfähig. Friedas Geburt galt bereits als außergewöhnlich.
Und mit einem gesunden Aufwachsen rechneten selbst die kühnsten
Optimisten nicht. Aber die Kleine hat den Sprung ins Leben
gemeistert. «Frieda geht's gut», sagt Mutter Yvonne. «Sie ist ein
aufgewecktes und fröhliches Kind, das uns viel Freude macht.»

Anfang November feierte Frieda ihren achten Geburtstag. «Ich habe
eine Werkbank mit richtigem Werkzeug bekommen», erzählt sie, «und
Puppenkleider, eine Schultafel und noch mehr.» In die Schule geht
Frieda seit dem Spätsommer. «Die Schule macht Spaß. Ich liebe den
Sportunterricht», sagt sie und turnt wenig später über ein
Klettergerüst im Spielraum der Kinderstation des Fuldaer Klinikums.

Frieda fährt Inliner, im Winter Ski und flitzt auf Schlittschuhen
übers Eis. Auch das Seepferdchen habe sie geschafft. «Für solch ein
kleines Kind hat sie viel Kraft. Und einen starken Willen hat sie
auch», sagt die Mutter.

Frieda wiegt zurzeit knapp 17 Kilogramm und misst 115 Zentimeter.
«Damit ist sie leicht unter der Normalgrenze», urteilt Repp. Große
gesundheitliche Probleme gebe es nicht, aber Besonderheiten. In der
Schule bereite es ihr Mühe, still sitzen und konzentriert zu bleiben,
sagt die Mutter. Doch sprachlich, sozial und intellektuell bringe sie
alles mit, ergänzt Repp.

Wenn Frieda nach der Schule heimkommt, sei das Essen zuweilen mühsam,
sagt die Mutter. «Sie isst wenig. Lange Zeit war Essen lästige
Pflicht für sie.» Mit Deftigem könne sie ihrem Kind eine Freude
machen. «Sie isst gern Bratwurst mit Rotkraut.»

Ess- und Aufmerksamkeitsprobleme sind nichts im Gegensatz dazu, was
extrem unreifen Frühchen sonst droht. Lunge, Darm, Gehirn und
Netzhaut können geschädigt sein. Es drohen Hirnblutungen und
bleibende Behinderungen. «Aber die Medizin macht immer weiter
Fortschritte, so dass die Chancen für Frühchen steigen», sagt Repp.


Prognosen für Frieda aufzustellen, ist allerdings schwierig. Die
Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin
erklärt, verlässliche Aussagen etwa über die Bedingungen für eine
Schullaufbahn könnten nicht getroffen werden.

Extrem junge Frühchen kommen in Deutschland immer wieder zur Welt.
Die kleine Paulina Emily wurde 2011 in Greifswald in der 23.
Schwangerschaftswoche mit 490 Gramm und 27 Zentimetern geboren. In
Rostock kam im selben Jahr ein Kind in der 23. Woche mit 33
Zentimetern und 650 Gramm zur Welt. In Dortmund überlebte ein Baby
mit einem Geburtsgewicht von lediglich 280 Gramm. Und das Klinikum
Fulda hat derzeit einen Jungen auf der Station, der seine Entbindung
nach genau 22 Wochen überlebte, mit einer nur um zwei Tage längeren
Schwangerschaftsdauer als bei Frieda.

Friedas Bruder überlebte allerdings nicht. Mutter Yvonne war mit
Zwillingen schwanger. Der kleine Kilian starb sechs Wochen nach der
Entbindung an Herz- und Darmproblemen. Frieda schaffte es, weil sie
weniger Komplikationen in der ersten, fragilen Phase des Lebens
hatte, begründet Repp. Seine Beobachtung mit dem Frühstart ins Leben:
«Nicht alles ist erklärbar. Es fehlen Langzeit-Beobachtungen in der
Forschung. Daher scheint vieles schicksalhaft. Im Fall von Frieda hat
es das Schicksal gut gemeint.»