Abtreibungsgegner in der Stadt von Romeo und Julia Von Alvise Armellini und Lena Klimkeit, dpa

Verona gilt als Stadt der Liebe. Jetzt will sie auch die Stadt des
Lebens sein. Abtreibungsgegner haben hier besonders starken
Rückenwind. Frauenrechtler sind entsetzt.

Verona (dpa) - Federico Sboarina blickt von seinem Büro im Rathaus
aus jeden Tag auf den Ort, wegen dessen jährlich Millionen von
Touristen nach Verona kommen. Über das antike römische Amphitheater
ziehen rosa gefärbte Wolken. Derzeit steht die Stadt von Romeo und
Julia allerdings in einem alles andere als romantischen Licht. Seit
der Gemeinderat einen Antrag zur Förderungen von Initiativen gegen
Abtreibung genehmigt hat, begreift sich Verona als Stadt des Lebens.
Kritiker sehen darin eine Rückkehr ins Mittelalter.

Wer glaube, dass Verona zu einem Ort der Intoleranz geworden sei oder
Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, stigmatisiert
werden, täusche sich, sagt Bürgermeister Sboarina. «Wir wollen Mütt
er
helfen, eine informierte Wahl zu treffen, ob sie ein Baby haben
wollen oder nicht.»

Am 40. Jahrestag der Legalisierung der Abtreibung in Italien brachte
der Gemeinderat den Beschluss auf den Weg, der es aus Sicht
von Frauenrechtsorganisationen zumindest in Verona noch schwerer
machen wird, eine Abtreibung durchzuführen. In dem überwiegend
katholischen Italien ist der Schwangerschaftsabbruch eh ein Tabu, es
gehört dem italienischen Gesundheitsministerium zufolge zu den
westlichen Ländern mit der geringsten Abtreibungsquote. Rund 70
Prozent der Gynäkologen verweigern Abtreibungen aus moralischen oder
aus Karriere-Gründen.

Abtreiben können Frauen in Italien bis zum 90. Tag der
Schwangerschaft nach einem Beratungsgespräch. Ein späterer
Schwangerschaftsabbruch ist nur möglich, wenn das Leben der werdenden
Mutter gefährdet oder der Fötus schwere Missbildungen zeigt. Das
Gesetz erlaubt Ärzten aber eben auch, Abtreibungen aus religiösen
oder ethnischen Gründen zu verweigern.

In Deutschland, wo innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der
Befruchtung und ebenfalls nur nach einer Beratung abgetrieben werden
darf, gibt es auch immer wieder hitzige Debatten um die Abtreibung.
Zuletzt kamen Forderungen nach einer Neuregelung des Werbeverbots für
Abtreibungen auf. Eine Ärztin war wegen Werbung für
Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die
der Abtreibungsparagraf 219a untersagt.

In Italien ist es der Aufschwung rechter Politiker, mit dem das Thema
wieder an Fahrt gewinnt. Im Familienministerium sitzt mit Lorenzo
Fontana ein bekennender Katholik, der die traditionelle Familie in
Gefahr sieht und Abtreibungsgegner ist. Seine rechte Lega-Partei
hatte den Vorstoß in Verona gemacht, über den er sagte: «Ich sehe
daran nichts Skandalöses.» Dass Äußerungen von Papst Franziskus, de
r
Abtreibungen kürzlich mit einem Auftragsmord verglich, in Italien
anders als in Deutschland keinen großen Aufschrei auslösen,
verwundert da nicht.

Der Europarat rügte Italien bereits mehrfach, weil er das Recht der
Frau auf eine Abtreibung gefährdet sah. «In Italien ist es für viel
e
Frauen unmöglich, einen Arzt oder ein Krankenhaus zu finden, das
ihnen die legale Abtreibung ermöglicht, obwohl sie darauf ein Recht
haben», hieß es in einem Bericht des Rates. Aus demselben Grund
appellierte im vergangenen Jahr auch der UN-Menschenrechtsausschuss
an die italienische Regierung, dringend Maßnahmen zu ergreifen, die
das Recht auf eine legale Abtreibung garantieren.

In Verona protestierten nun Feministen, zogen als Mägde verkleidet
ins Rathaus. Sie trafen bei vielen einen Nerv, spielten sie mit der
Verkleidung auf die TV-Serie «The Handsmaid's Tale» an, das ein Bild
der Zukunft entwirft, in der Frauen lediglich kindergebärende Sklaven
sind. «Es scheint, als wären sie in Verona zurück ins Mittelalter
gegangen», schrieb der Parlamentarier Mattia Fantinati auf Facebook.

«Die Resonanz, die wir bekommen haben, ist weit über das
hinausgegangen, was wir uns von dem Protest erhofft hatten», sagt
Valeria, die Mitglied der feministischen Gruppe Non Una Di Meno ist.

Den Aktivisten zufolge weht nicht nur in Verona der Wind katholischer
Fundamentalisten, die darauf abzielen, Menschenrechtsreformen der
vergangenen 40 Jahre rückgängig zu machen. «Die Freiheit, über
unseren Körper und unsere Leben zu entscheiden, wird zunehmend durch
fundamentalistische Kampagnen zur Kriminalisierung der Abtreibung
attackiert, welche heute in allen Teilen der Welt und auch in
Regierungen Platz finden», heißt es in einem Aufruf der Gruppe zu
einer Demonstration, die an diesem Samstag in Rom stattfinden soll.

Ist Verona im Ausland vor allem wegen seiner Oper und Romeo und Julia
bekannt, war die Stadt nach Ansicht der Journalistin Giulia Siviero
schon immer Hort ultra-konservativer Politiker. 1943 wählte Diktator
Benito Mussolini Verona für die Neugründung seiner faschistischen
Partei aus.

Bürgermeister Sboarina und seine Verbündeten beteuern, dass sie
nichts getan haben, was das nationale Abtreibungsgesetz in Frage
stellen würde, sondern dass sie lediglich lokale Behörden in der
Beratung stärker unterstützen wollen. «Es ist nicht so, dass wir (den

Frauen, die zu uns kommen) sagen: «Hier hast du 1000 Euro und im
Gegenzug behältst du dein Baby»», sagt Sozialarbeiterin Giuseppina
Boateng, die bei einem Anti-Abtreibungs-Zentrum arbeitet, das
finanziell gefördert werden soll. Ihre Aufgabe sei nicht, Frauen von
der Abtreibung abzuhalten. «Frauen müssen Mütter werden wollen, wir
können das nicht von ihnen erzwingen.»