Gießener Urteil treibt Debatte um Abtreibungsparagraf 219a an

Vor Gericht scheiterte die Gießener Ärztin mit ihrer Berufung gegen
ein Urteil zu dem Abtreibungsparagrafen 219a. Politisch erhielt die
Ärztin dagegen am Freitag viel Zuspruch. Auch in der Berliner
Regierungskoalition ist der Paragraf ein Thema.

Wiesbaden/Gießen/Berlin (dpa/lhe) - Die Gießener Ärztin Kristina
Hänel hat vor Gericht am Freitag eine Niederlage erlitten, politisch
geht die Debatte um den Abtreibungsparagrafen 219 im Zusammenhang mit
dem Verfahren weiter. «Der Paragraf 219a Strafgesetzbuch kann so
nicht bleiben», sagte der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten
Schäfer-Gümbel vor dem Landgericht Gießen. «Ärztinnen und Ärzte
, die
neutral über Schwangerschaftsabbrüche informieren, dürfen nicht
länger kriminalisiert werden.»

Hänel hatte Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts eingelegt, das
sie vor knapp einem Jahr zu 6000 Euro Strafe verurteilt hatte. Darin
hatte es geheißen, Hänel werbe auf ihrer Homepage für
Schwangerschaftsabbrüche. Das verstoße gegen den Paragrafen 219a, der
das öffentliche Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von
Schwangerschaftsabbrüchen untersagt.

Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) plädierte am Freitag
für eine Reform des Paragrafen. «Wenn Frauen in so einer schwierigen
Situation sind - und das ist eine extreme Ausnahmesituation - dann
brauchen sie Beratung, Information und Unterstützung», sagte Giffey.
«Das darf man ihnen nicht verwehren.» Es gehe um Information, nicht
um Werbung. Den Ärzten müsse Rechtssicherheit gegeben werden.

Hänel selbst forderte im Anschluss an das Urteil vor Journalisten
eine Gesetzesänderung. Mit der Abweisung ihrer Berufung habe
sie gerechnet. «Wir sind einen Schritt weiter auf dem Weg zur
juristischen Klärung.» Zu allem ließen sich in der heutigen Zeit
Informationen finden, nur keine sachlichen Informationen zum Thema
Schwangerschaftsabbruch. «Ich stehe hier für die vielen, vielen
Tausend Frauen, die betroffen sind.» Zudem müsse die Kriminalisierung
der Ärzte aufhören.

Der Vorsitzende Richter Johannes Nink hatte in seiner
Urteilsbegründung von einer zwiespältigen Gesetzeslage gesprochen.
Gerichte müssten sich dennoch an die Gesetze halten. Zwar
habe auch er Zweifel, ob Paragraf 219a verfassungsgemäß sei, doch
seien diese nicht stark genug, um den Fall dem
Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Der Gesetzgeber sei gefragt, für
eine Neuregelung zu sorgen.

Bundesjustizministerin Katarina Barley sagte den Zeitungen der Funke
Mediengruppe vor der Gerichtsentscheidung, sie sei optimistisch, dass
«noch in diesem Herbst» eine Lösung in der Koalition über den
umstrittenen Paragrafen gefunden werde.

Union und SPD streiten seit längerem über den Paragrafen 219a im
Strafgesetzbuch. Gegner der Regelung argumentieren, dass auch
sachliche Informationen für ungewollt schwangere Frauen durch den
Paragrafen verhindert würden. Die SPD will diesen daher reformieren
oder abschaffen. In der Union gibt es dagegen aber große Vorbehalte.

«Kristina Hänel hat auf ihrer Homepage darüber informiert, dass sie
Schwangerschaftsabbrüche vornehmen kann. Eine solche Information für
ratsuchende Frauen sollte nicht verboten sein», sagte Sigrid Erfurth,
frauenpolitische Sprecherin der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen im
hessischen Landtag. Sie sprach sich für eine Abschaffung des
Paragrafen aus. Er ermögliche «radikalen Abtreibungsgegnern,
Frauenärztinnen und -ärzte landauf und landab zu beklagen, nur weil
sie darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche
vornehmen.»

«Das heutige Urteil macht einmal mehr deutlich: Dieser Paragraf muss
endlich abgeschafft werden», sagte Marjana Schott, frauenpolitische
Sprecherin der Fraktion Die Linke im Wiesbadener Landtag. Nun sei der
Bundestag gefordert. Parteichefin Katja Kipping forderte am Freitag
in Berlin zudem die komplette Abschaffung der Abtreibungsparagrafen
218 und 219. «Es ist ein Unding, dass diese mutigen Frauen
kriminalisiert werden», sagte sie über Hänel, ihr Team und andere
Ärztinnen in ähnlicher Lage.

Zwei katholische Frauenorganisationen sprachen sich unterdessen für
den Erhalt von Paragraf 219a aus. Auch eine Einschränkung des
Paragrafen lehnten die Vorsitzenden des Katholischen Deutschen
Frauenbunds und der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschland in
einer gemeinsamen Stellungnahme ab. Schwangere in Notlagen benötigten
«umfassende Informationen und Unterstützung, die ihnen helfen können,

ihr Kind zur Welt zu bringen», hieß es darin. Gleichzeitig müsse
sichergestellt sein, dass schwangere Frauen in extremen Notlagen
Zugang zu Informationen über die Möglichkeit eines medizinisch
sicheren Schwangerschaftsabbruchs haben.