Streit über Abtreibungsparagrafen - Prozess geht in neue Runde Von Isabell Scheuplein, dpa

Abtreibung ist in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen
erlaubt - Werbung dafür aber nicht. Eine Gießener Ärztin kämpft f
ür
die Streichung des Paragrafen 219a, auch vor Gericht. Ihr Fall hatte
eine heftige politische Debatte ausgelöst - und geht nun weiter.

Gießen (dpa) - Das Thema des Gerichtsverfahrens polarisiert: Eine
Gießener Ärztin war zu 6000 Euro Strafe verurteilt worden, weil sie
unerlaubte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche gemacht haben soll.
Belangt wurde sie, weil sie auf ihrer Internetseite Abtreibungen als
Leistung anbietet und Informationen zum Thema bereitstellt. Bei einem
Schwangerschaftsabbruch handele es sich nicht um eine normale
Leistung wie das Herausnehmen eines Blinddarms, hieß es vom
Amtsgericht vor knapp einem Jahr zur Begründung. An diesem Freitag
steht nun die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht in Gießen an.
Das Urteil könnte noch am gleichen Tag fallen.

Die Ärztin Kristina Hänel sagt, sie würde es begrüßen, wenn ihr F
all
dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werde, um eine grundsätzliche
und juristische Klärung zu erreichen. «Ich halte Paragraf 219a nicht
für verfassungskonform.» Ihr gehe es darum, ein Informationsrecht für

Frauen durchzusetzen, damit sie verantwortliche Entscheidungen
treffen könnten, sagt die Fachärztin für Allgemeinmedizin. «Ich
informiere sachlich, doch der Paragraf 219a stellt das unter Strafe
mit dem Begriff Werbung.» Dies wirke wie ein Maulkorb und führe zu
einer Schieflage, da Abtreibungsgegner alles Mögliche behaupten
dürften und dabei von der Meinungsfreiheit geschützt seien.

In Deutschland ist Abtreibung zwar verboten, wird aber unter
bestimmten Bedingungen nicht geahndet, so etwa, wenn sich die Frauen
zuvor von zugelassenen Organisation beraten lassen. Geregelt ist dies
im Paragrafen 218. Paragraf 219a des Strafgesetzbuches untersagt das
Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen
wenn dies zu einem finanziellen Vorteil oder «in grob anstößiger»
Weise geschieht. Als Rahmen für solche unerlaubte Werbung ist neben
Geldstrafen eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vorgesehen.

«Hunderte von Ärzte sind angezeigt worden in den letzten zehn Jahren,
und das wird nicht aufhören, wenn der Paragraf nicht sauber
gestrichen oder entschärft wird», sagt Hänel. Die meisten Verfahren
würden eingestellt, andere gegen eine geringe Strafe, sie selbst sei
nun verurteilt worden. Zuvor sei sie bereits mehrere Male anzeigt
worden, die Verfahren seien jeweils eingestellt worden.

Der Fall hatte hitzige Debatten um Änderungen des Abtreibungsrechts
ausgelöst. Die Ärztin aus Gießen organisierte mehr als 155 000
Unterstützer für eine Petition, die sie Bundestagsabgeordneten
überreichte. Das politische Verfahren geriet nach der Einigung auf
eine große Koalition in Berlin aber ins Stocken. Hänel hatte auch
einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
geschrieben mit der Bitte, die Diskussion zu versachlichen und ein
Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch
durchzusetzen. Eine Antwort habe sie nicht erhalten, sagt die Ärztin.

Die Befürworter des Paragrafen 219a verweisen darauf, dass das
Werbeverbot die gesetzlich festgeschriebene Pflicht für Frauen
flankiere, sich beraten zu lassen. An diesem Kompromiss solle nicht
gerüttelt werden. Informationen, wo Schwangerschaftsabbrüche
vorgenommen werden könnten, seien zudem in den Beratungsstellen
zugänglich.

In Kassel sind in einem ähnlichen Verfahren gleich zwei
Frauenärztinnen angeklagt. Die Gynäkologinnen Natascha Nicklaus und
Nora Szász hatten auf ihrer Internetseite Schwangerschaftsabbruch als
medizinische Leistung aufgeführt und waren deswegen angezeigt worden.
Nachdem ein erster Verhandlungstag ergebnislos zu Ende gegangen war,
wird ihr Verfahren nun am 28. Januar neu aufgerollt.