Die Fleisch-Macher Von Stefanie Järkel und Ilia Yechimovich , dpa

Schnitzel, Hühnerbrust, Würstchen: Fleisch gehört zum liebsten Essen

der Deutschen. Doch die Massentierhaltung fordert ihren Tribut von
Tier und Umwelt. Forscher züchten daher Fleisch im Labor - und hoffen
auf viele künftige Käufer.

Nes Ziona (dpa) - Saftig soll es sein, den würzig-salzigen Geschmack
haben und aussehen wie herkömmliches Fleisch. Doch im Moment ist das
Steak der Zukunft nicht viel mehr als ein Zellhaufen. Tausende kleine
Bläschen drängen sich wie bei Froschlaich aneinander, nur sichtbar in
zigfacher Vergrößerung auf dem Computerbildschirm.

«Bitte nicht fotografieren», sagt Didier Toubia in seinem Labor in
einem Industriepark südlich von Tel Aviv. Immerhin forscht der
45-jährige Israeli mit seinem Start-up Aleph Farms an einer möglichen
Revolution der Fleischproduktion: Fleisch aus dem Labor, gezüchtet
aus Stammzellen von Kühen.

Über das Essen von Fleisch ist längst ein Grundsatz-Streit entbrannt.
Gesund, ja oder nein? Ist es moralisch okay, wenn Tiere dafür leiden?
Und wie steht es um die Folgen des Steak-Konsums fürs Klima?
Zumindest einen Teil der Probleme wollen High-Tech-Pioniere lösen,
indem sie Fleisch züchten. Was dann auf die Teller kommen soll, hat
in der Form nie als Stück eines Tieres im Stall oder auf der Weide
gestanden.

An mehreren Orten weltweit tüfteln Forscher und Unternehmer an
solchen Produkten. Mit am weitesten sind Start-ups in Israel. Bei
einem Besuch trifft man Entwickler, die sehr optimistisch wirken. Man
stößt aber auch auf Fragen, die noch zu klären sind.

FÜR DAS KLIMA UND GEGEN TIERQUÄLEREI

«Die Mission der Firma ist es, besseres Essen für die Menschen zu
produzieren», sagt Didier Toubia, weißer Laborkittel über dem Hemd,
Brille und Kippa auf dem Kopf. Er verweist auf den Einfluss der
industriellen Fleischproduktion auf Natur und Klima: «Rind ist in
Bezug auf die Umwelt das Thema, das am dringendsten ist.»

Derzeit brauche es 10 000 bis 15 000 Liter Wasser, um ein Kilogramm
Rindfleisch zu produzieren - inklusive des Wassers, um die Saat für
das Futter wachsen zu lassen, führt er aus. Außerdem gehe es darum,
Tierleid in der Massenhaltung zu verringern.

Für das Laborfleisch werden einem Rind bestimmte Stammzellen
entnommen, wie der Forscher erklärt. So heißen Zellen, die sich
teilen und in verschiedene Richtungen weiterentwickeln können. In
einer Nährlösung sollen sie sich so vermehren, dass innerhalb von
letztlich drei, vier Wochen ein Stück Fleisch entsteht.

Toubia steht im Labor vor zwei weißen Quadern, die aussehen wie
Kühlschränke. «Das sind unsere Kühe», sagt er und lacht. In diese
n
Inkubatoren stehen Petrischalen mit rötlichen Lösungen, in denen sich
die Zellen befinden. «Wir reproduzieren außerhalb der Kuh die
Bedingungen für die Zellen, um sich zu teilen und Gewebe unter
kontrollierten Bedingungen herzustellen», sagt der Biologe. Dazu
gehört bei dem Verfahren etwa die Körpertemperatur des Tieres.

2016 hat er sein kleines Unternehmen gegründet - gemeinsam mit der
Strauss-Gruppe, einem israelischen Lebensmittelhersteller, sowie dem
Forschungsinstitut Technion. Aktuell arbeiten zehn Menschen für das
Start-up, vor allem Zellbiologen und Experten für Gewebezüchtung.

EIN STEAK BAUEN IST SCHWER

Toubias Firma ist eines von mehreren Start-ups weltweit, die sich mit
dem Thema In-vitro-Fleisch beschäftigen. Bereits 2013 hatte der
niederländische Forscher Mark Post die erste Frikadelle aus
Stammzellen von Rindern in London präsentiert. «Der letzte Stand der
Technik bei «Clean Meat» ist, eine Masse von Zellen zu züchten», sa
gt
Toubia. Vorrangig Muskelfasern, aber auch Fett, um es zu mixen.
Deswegen würden die meisten etwa auf Hamburger setzen. Also Hack.

«Wir konzentrieren uns dagegen darauf, ein komplexes Gewebe zu
entwickeln, das viel mehr dem originalen Muskelgewebe gleicht.» Eben
einem Steak. Dafür müssen sich unter anderem die Zellen in vier
verschiedene Typen entwickeln. Ob das reicht, um «echt» zu schmecken?
Schließlich spielt beim Geschmack von hochwertigem Fleisch auch eine
Rolle, welche Rasse und Alter das Tier hatte, wie es gefüttert wurde,
wie viel es sich bewegen konnte und vieles mehr.

«Es wird vermutlich zwei Jahre dauern, um die Entwicklung des
Produkts abzuschließen.» In der zweiten Hälfte des Jahres 2021 würd
en
sie die ersten, noch teuren Lieferungen an Restaurants planen. In
sieben, acht Jahren werde der Preis mit herkömmlichem Fleisch
vergleichbar sein, hofft er.

SUPERMEAT SETZT AUF HÜHNER UND WIESENHOF

Ido Savir und sein Start-up Supermeat - übersetzt Superfleisch -
sitzen nur wenige Räume von Aleph Farms entfernt. Auch Supermeat
hatte sich Ende 2015 mit der Idee gegründet, Fleisch zu züchten.
Allerdings streben die Forscher das Herstellen von Fleischgewebe aus
Hühner- und Entenzellen an. Daraus sollen später etwa Frikadellen,
Würstchen, Chicken Nuggets und Salami entstehen.

«Wir glauben, dass uns dieser Ansatz erlauben wird, deutlich früher
auf den Markt zu gehen», sagt Savir, kurze braune Haare,
Drei-Tage-Bart, schwarzes Hemd. Hühnchen werde zudem beliebter bei
Fleischfans.

Der 40-Jährige ist zurückhaltend mit Einblicken ins Labor. Aber eines
ist für den Veganer klar: Sein selbst gezüchtetes Fleischprodukt will
er später auch essen.

Supermeat möchte in drei Jahren mit der Ware auf dem Markt sein -
auch in Deutschland. Rund 3,4 Millionen Euro Kapital hat das Start-up
bisher gesammelt. Anfang des Jahres hat das Mutterunternehmen des
Geflügelzüchters Wiesenhof, die PHW-Gruppe, Anteile an der Firma
erworben. Über ein eigenes Risikokapitalunternehmen hat auch die
Familie Cordesmeyer einen mittleren sechsstelligen Betrag investiert.
Deren Unternehmen Hemelter Mühle produziert nahe der niederländischen
Grenze Mehl.

Der Geflügelriese PHW investiere dabei nicht nur Geld in Supermeat.
«Wiesenhof hilft uns bei der Forschung und Entwicklung», sagt Savir.
Das Unternehmen bringe sein großes Wissen über Geflügelprodukte ein.

«Das hilft uns, besser zu verstehen, was wir erreichen wollen.» Wie
soll das Laborfleisch schmecken, wie soll die Konsistenz sein?

PROTEINE IM FOKUS

PHW geht es dabei um eine Vielfalt an Proteinquellen, also Eiweißen -
jenseits von herkömmlichem Fleisch, wie Vorstandsmitglied Marcus
Keitzer sagt. Vegane Produkte, pflanzenbasierter Fleischersatz,
veganer Fischersatz - und irgendwann eben Fleisch aus der Retorte.
«Wir wollen nicht schwarz-weiß sein», ergänzt Keitzer.

Frank Cordesmeyer argumentiert mit dem massiven Bevölkerungswachstum
weltweit - und dem steigenden Proteinbedarf. «Das Problem ist ganz
einfach, dass unsere Welt die Rohstoffe nicht mehr so produzieren
können wird, wie wir das im Moment tun», sagt Cordesmeyer,
Geschäftsführer des Risikokapitalunternehmens.

Derzeit würden Proteine nicht mehr nachhaltig hergestellt, wenn etwa
in Brasilien Regenwälder abgeholzt würden, um Soja anzupflanzen,
welches dann für die Futtermittelindustrie nach Europa gebracht
werde. «Das ist wahnsinnig ineffizient», sagt Cordesmeyer.
Laborfleisch, oft Clean Meat genannt, sei hier eine mögliche
Alternative zumindest für Teile des Markts.

Die Firma Supermeat gehöre zu den drei am weitesten fortgeschrittenen
Start-ups in dem Bereich, schätzt Cordesmeyer, der sich auch in dem
weltweit tätigen Fachgremium Cellular Agriculture Society engagiert.
«Wir sehen immer mehr Clean-Meat-Firmen, die sich etablieren», sagt
der Bäcker und Lebensmitteltechnologe. «Aber die Hochburgen sind ganz
klar Holland, Israel und San Francisco.»

Auch Anne Mottet, Tierhaltungsentwicklerin bei den Vereinten
Nationen, sagt: Der weltweite Fleischverbrauch wird in den kommenden
Jahren weiter klettern.

DEUTSCHER FLEISCHVERBRAUCH SINKT

In Deutschland gibt es aktuell beim Verbrauch eine leichte
Gegenbewegung. Obwohl Fleisch nach wie vor zu einem der beliebtesten
Nahrungsmittel gehört, aß der Durchschnittsbürger zuletzt weniger
davon. 2017 fiel der Verzehr nach Angaben des Bundesministeriums für
Ernährung und Landwirtschaft unter die Marke von 60 Kilogramm. Der
Rückgang kommt vor allem durch eine deutliche Abnahme beim
Spitzenreiter Schweinefleisch (rund 36 Kilo), während Geflügel (rund
12) und das oft teure Rind (10) zulegten.

Die Zurückhaltung der Deutschen beim Fleisch entspricht dem Trend in
Europa, wie Mottet sagt. Es gebe dort reichlich Aufklärung, dass zu
viel fettes Fleisch nicht gesund sei - und Informationen über
Umwelteinflüsse der Produktion. «Die Menschen denken sich, ich muss
heute nicht schon wieder ein Steak essen», sagt Mottet.

Silvia Woll vom Karlsruher Forschungsinstitut KIT sieht durchaus
Offenheit für Retorten-Fleisch bei deutschen Verbrauchern - bei
Vegetariern, Veganern und Fleischessern. Aber: «Das In-vitro-Fleisch
könnte so gesund und billig sein, wie es will, wenn es nicht nach
Fleisch schmeckt, wird es nicht gekauft», sagt die Philosophin mit
Schwerpunkt Technikethik.

MASSENPRODUKTION KÖNNTE VIEL ENERGIE BRAUCHEN

Fachfrau Woll sieht die Zukunftschancen für eine industrielle
Großproduktion von Laborfleisch in absehbarer Zeit eher
zurückhaltend. «Ganz viele Fragen zu In-vitro-Fleisch kann man im
Moment noch nicht beantworten, die Technologie dafür steckt noch in
den Kinderschuhen», urteilt sie. «Es könnte durchaus passieren, dass

das nie auf den Markt kommen wird, weil es nie im großen Maßstab
hergestellt werden wird.»

Unklar sei etwa, inwiefern die Massenproduktion von Laborfleisch
wirklich so viel umweltfreundlicher wäre. So könnten große
Inkubatoren - also Brutschränke - sehr viel Energie verbrauchen.

Firmengründer Didier Toubia steht im weißen Kittel und Handschuhen
neben seinen weißen Labor-«Kühen». Sein künftiger Traumkunde ist

Flexitarier, so wie er - Fleischesser in Maßen, umweltbewusst. Von
der künftigen Nachfrage gibt er sich überzeugt. Und bleibt doch
pragmatisch: «Ich denke nicht, dass herkömmlich produziertes Fleisch

in naher Zukunft komplett verschwinden wird.»