Brustimplantate-Klagen gegen TÜV werden neu verhandelt Von Sebastian Kunigkeit und Pol O Gradaigh, dpa

Der Skandal um die Brustimplantate des Herstellers PIP war für viele

Tausend Frauen ein Alptraum. In Frankreich hatte ein Gericht
Schadenersatz-Forderungen an den TÜV Rheinland 2015 abgewiesen - doch
nun geht das Tauziehen in eine neue Runde.

Paris (dpa) - Im Skandal um minderwertige Brustimplantate werden
Schadenersatzklagen gegen den TÜV Rheinland in Frankreich neu
aufgerollt. Das oberste Gericht des Landes hob am Mittwoch ein Urteil
aus Aix-en-Provence auf, das eine Haftung des deutschen
Prüfunternehmens 2015 abgelehnt hatte. Die Frage muss vor dem Pariser
Berufungsgericht neu verhandelt werden, wie der Kassationsgerichtshof
am Mittwoch bekanntgab.

Das französische Unternehmen Poly Implant Prothèse (PIP) hatte
jahrelang ein nicht zugelassenes Silikongel für Brustimplantate
verwendet. Zahlreiche Frauen und einige Händler hatten den
TÜV Rheinland auf Schadenersatz verklagt, weil sie ihm Schlamperei
bei der Zertifizierung von PIP vorwerfen.

Der TÜV argumentiert, dass er selbst Opfer des Betrugs sei - was im
französischen Strafprozess gegen den PIP-Gründer auch anerkannt
worden war. Für das Prüfunternehmen geht es um Millionen.

Das Kassationsgericht urteilte nicht in der Sache, sondern
überprüfte, ob das Berufungsgericht von Aix-en-Provence das Recht
korrekt angewandt hatte. Es beanstandete, dass das damalige Urteil
nicht ausreichend auf bestimmte Vorwürfe der Kläger eingegangen war.

Der Kläger-Anwalt Olivier Aumaître sprach von einem «großen Sieg»
:
Das Urteil öffne den Weg für eine «Entschädigung aller Patientinnen

mit PIP-Implantaten». TÜV-Anwältin Cécile Derycke teilte dagegen
mit:
«Wir sind zuversichtlich, dass die Gerichte weiterhin feststellen
werden, dass die TÜV-Rheinland-Unternehmen im Bereich des PIP-Falls
nicht haftbar sind.»

Der PIP-Skandal war 2010 aufgeflogen: Schätzungen zufolge könnten die
Silikonkissen weltweit bei Hunderttausenden Frauen eingesetzt worden
sein. Behörden empfahlen Frauen damals, die reißanfälligen Implantate

herausoperieren zu lassen - in Frankreich kamen dem mehr als
18 000 Betroffene nach.

Der TÜV hatte Unterlagen zur Konzeption der Implantate und das
Qualitätssicherungssystem von PIP überprüft - auf dieser Basis
erhielt der Hersteller das europäische CE-Siegel. Es gehörte jedoch
nicht zu den Aufgaben des TÜV, die hergestellten Kissen zu
überprüfen. In Deutschland war der Bundesgerichtshof im vergangenen
Jahr zu dem Schluss gekommen, dass die Prüfer bei der Überwachung des
Herstellers keine Pflichten verletzt hätten.

Ein Punkt, bei dem das Urteil aus Aix-en-Provence den obersten
Richtern nicht genügte: Die Kläger werfen dem TÜV vor, dass er Zuga
ng
zu Daten gehabt habe, wie viel Silikongel der offiziell zugelassenen
Marke PIP eingekauft hatte - was offensichtlich in keinem Verhältnis
zur Zahl der hergestellten Prothesen gestanden habe. Der TÜV hält
dagegen, dass niemand sagen könne, welche Unterlagen damals bei
PIP verfügbar waren, weil die Polizei die Computer nicht
beschlagnahmt habe.

Der TÜV hob seinerseits hervor, das Kassationsgericht habe die
Auslegung der geltenden Regulierung durch das Gericht in
Aix-en-Provence bestätigt. Zudem wurden eine Reihe von
Revisionsanträge abgewiesen, laut TÜV betrifft dies gut ein Viertel
der Kläger - für sie sei die damalige Entscheidung endgültig.

In dem fraglichen Verfahren hatte das Handelsgericht von Toulon den
TÜV Rheinland ursprünglich verurteilt, mehr als 1600 Frauen insgesamt
mehr als fünf Millionen Euro zu zahlen. In Berufung in
Aix-en-Provence war die Entscheidung dann komplett anders
ausgefallen. Zwischenzeitlich waren weitere Klägerinnen dem Verfahren
beigetreten, es waren schließlich mehr als 3000.

Daneben gibt es noch ein weiteres Verfahren mit gut 20 000
Klägerinnen, das noch in Aix-en-Provence anhängig ist. Hier hatte das
Handelsgericht Anfang vergangenen Jahres rund 20 000 Klägerinnen
jeweils vorläufig 3000 Euro zugesprochen - insgesamt etwa 60
Millionen Euro. Auch dort geht das juristische Tauziehen weiter.