42-Jährige vor Gericht - Hat eine Mutter ihren Sohn missbraucht?

Sex mit dem Sohn? Dass eine Mutter dazu fähig ist, hat der Staufener
Missbrauchsfall gezeigt. Nun muss sich eine Frau aus Aalen in einem -
weit weniger schwerwiegenden - Fall verantworten.

Ulm (dpa/lsw) - Vor dem Amtsgericht Aalen wird am Donnerstag (9.00
Uhr) der Prozess gegen eine 42 Jahre alte Frau fortgesetzt, die ihren
Sohn im Kindes- sowie im Kleinkindesalter sexuell missbraucht haben
soll. Je nach Verlauf der Verhandlung könnte nach Einschätzung von
Amtsgerichtsdirektor Martin Reuff möglicherweise noch am selben Tag
das Urteil verkündet werden.

Laut Staatsanwaltschaft hat die Frau aus Aalen (Ostalbkreis) ihren
Sohn, der inzwischen 18 Jahre alt ist, in einem nicht näher
bestimmten Zeitraum zwischen 2002 und 2003 sexuell missbraucht. Dabei
soll sie das Kind unter anderem dazu gebracht haben, sie im
Intimbereich zu berühren. Zudem wird ihr vorgeworfen, mit dem Sohn
Verkehr gehabt zu haben, als dieser zwölf Jahre alt war.

Die Beschuldigte hat zum Auftakt des Prozesses am 27. September von
ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und die Vorwürfe
durch ihren Anwalt zurückweisen lassen. Ihr Sohn wurde in der
Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Beisein eines
Psychologen befragt.

Die Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs von Kindern durch die
eigene Mutter sollte nach Ansicht des Ulmer Kinderschutz-Experten
Professor Jörg Fegert von Behörden und Hilfseinrichtungen generell
stärker in Betracht gezogen werden. «Missbrauchsfälle durch Mütter

sind zwar relativ selten, dennoch dürfen sie nicht ignoriert werden»,
sagte der Ärztliche Direktor der Ulmer Uniklinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie der Deutschen Presse-Agentur.

Fegert stützt sich auf Studien, wonach Kindesmissbrauch innerhalb von
Familien zwar überwiegend von Vätern begangen wird, aber auch Mütter

sich «in relevantem Umfang» an Kindern vergehen. So wies der
Abschlussbericht der Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen
Kindesmissbrauchs, Christine Bergmann, aus dem Jahr 2011 mit rund
6000 befragten Opfern Väter mit fast 60 Prozent als Täter aus.
Gefolgt von Müttern mit fast 11 Prozent - und damit noch vor anderen
Verwandten.

Daran habe sich nach seiner Erfahrung seitdem kaum etwas geändert,
sagte Fegert. In der Gesellschaft ebenso wie bei Kinder- und
Jugendämtern, der Polizei und der Justiz sei eine «friendly mother
illusion» weit verbreitet. So bezeichnen Experten die Annahme, dass
Müttern nichts Schlimmes zuzutrauen sei. Zuletzt habe sich das im
Staufener Missbrauchsfall gezeigt.

Ein Paar aus dem badischen Staufen hatte einen heute Zehnjährigen
mehr als zwei Jahre lang vielfach vergewaltigt und zur Prostitution
gezwungen. Die 48 Jahre alten Mutter wurde im August zu zwölfeinhalb
Jahren Haft, ihr 39-jähriger Lebensgefährte zu zwölf Jahren Haft
verurteilt. Die Opferorganisation Weißer Ring forderte nach dem
Prozess vor dem Landgericht Freiburg eine bessere Ausbildung und
Schulung von Behördenmitarbeitern. Sie müssten rascher als bisher in
der Lage sein, Kindesmissbrauch in der Familie, auch durch Mütter,
frühzeitig zu erkennen und dagegen vorzugehen.

Fegert unterstützt die Forderung: «Man muss auch darauf immer einen
Blick haben, sonst verpasst man im Kinderschutz ein wichtiges Thema.»
Missbrauch durch Mütter sei schwieriger zu erkennen und nachzuweisen.
«Für Betroffene ist es noch viel schwerer, sich zu äußern - auch we
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sie auf eine gewisse Ungläubigkeit stoßen», sagte der Professor.
«Wenn heute jemand vom Missbrauch durch den Vater berichtet, hält man
das für möglich und es wird ernst genommen. Bei Missbrauchshandlungen
durch die Mutter gibt es eine viel höhere Schamschwelle.»

Die Grenzen seien zudem oft fließend: «Missbrauchshandlungen sind zum
Teil in Pflegehandlungen eingebunden, wie das Eincremen und dabei das
Stimulieren des Penis. Für Betroffene mit mangelndem Wissen über die
sich entwickelnde Sexualität eines Kindes ist die Zuordnung, was
normal ist und was Grenzen überschreitet, gar nicht so leicht.»

Professor Fegert gehört zu den Initiatoren der bundesweiten
«Medizinischen Kinderschutzhotline», bei der sich Mediziner bei
Verdachtsfällen von Misshandlung und Missbrauch schnell mit eigens
geschulten Experten beraten können.