Merkel bei der JU - Der Tag der Abrechnung kommt später Von Jörg Blank und Ruppert Mayr, dpa

Die Umfragen bereiten dem Unionsnachwuchs schlaflose Nächte. Die
Junge Union will von der Kanzlerin erfahren, wie man aus dem Tief
kommen kann. Schwierig, so kurz vor den Wahlen in Bayern und Hessen.

Kiel (dpa) - Resignation? Nicht zu spüren. Zerknirschung? War von
Angela Merkel nicht wirklich erwartet worden. Eher zeigt die
CDU-Chefin an diesem Samstag trotz der verheerenden Umfragewerte vor
den wichtigen Wahlen in Bayern und Hessen Angriffslust. Die Umfragen
seien ja ganz gut erklärbar, ruft sie beim Deutschlandtag der Jungen
Union (JU) in Kiel dem Unionsnachwuchs zu. Sie meint vor allem den
erbitterten Streit, mit dem CSU und CDU in den vergangenen Monaten
immer mehr Anhänger vergrault haben.

Schon der Empfang für Merkel ist vieldeutig. Zum Einmarsch in die
Halle des Handball-Rekordmeisters THW Kiel muss sich Merkel «Don't
Stop Believin'» («Hör' nicht auf, zu glauben») anhören, einen Son
g
der US-Rocker von Journey aus den 1980er Jahren. Das Lied ist uralt,
der Inhalt klingt aktuell: Es geht um ein Kleinstadtmädchen in seiner
einsamen Welt. Eine Zeile lautet: «Sie nahm den Mitternachtszug nach
irgendwo...» Soll das als Anspielung auf eine Ziellosigkeit
verstanden werden, mit der Merkel nach Ansicht vieler im Saal die
Umfragewerte in den Keller treibt?

Auch eine weitere Songzeile passt zum Konvent, bei dem quasi alle
CDU-Hoffnungsträger für die Zeit nach Merkel zum Schaulauf antreten:
«Manche werden gewinnen, manche werden verlieren.» Viele in der Halle
interessieren sich vor allem für Merkel, und wer sie beerben könnte.

Dass die Zeit zum Erben aus ihrer Sicht wohl noch nicht ganz gekommen
ist, macht Merkel dann recht rasch deutlich. Sie könne ja gut
verstehen, dass viele vom Bild enttäuscht seien, das Schwarz-Rot
abgebe. Aber Schuld daran sei vor allem der Unionsstreit - und den
wolle sie nicht. Deswegen müsse man sich jetzt «an die Wähler wenden

und nicht miteinander Fingerhakeln machen». Viele Wähler in Bayern
und Hessen seien noch unentschieden, Streit komme nicht gut. Also:
Auf Sacharbeit setzen, Merkel ist sich mit der JU da einig.

Dann lässt die CDU-Chefin Angriffslust erkennen. Was ihr fehle im
Leitantrag des Nachwuchses, sei der ökologische Bereich. Dabei stehe
man angesichts von Klimawandel und Plastikmüll doch vor einer
dramatischen Entwicklung. Viele im Auditorium klatschen.

Ganz zum Schluss sagt Merkel spitz, ihr sei doch bitte eine kleine
kritische Anmerkung erlaubt. Sie werde in der Fragerunde im Anschluss
ja auch noch eine Menge Kritik zu hören bekommen. «Der
geschäftsführende JU-Bundesvorstand», holt sie süffisant aus: «Sc
hön
männlich. Aber 50 Prozent des Volkes fehlen.» Viele in der Halle
johlen, als die Kanzlerin noch einen draufsetzt: «Und ich sag' Ihnen:
Frauen bereichern das Leben. Nicht nur im Privaten, auch im
Politischen. Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht.»

Im geschäftsführenden JU-Vorstand - Vorsitzender, Stellvertreter und
Schatzmeister - liegt die Frauenquote bei: Null. Unter den 22 neuen
Vorstandsmitgliedern sind nur fünf Frauen zu finden. Diese Vorlage
für einen Entlastungsangriff lässt sich Merkel nicht entgehen.

In der Diskussionsrunde danach geht es um Rente, den Diesel, den
Soli, die Türkei. Als ein junger Mann aus dem Verband München Nord
der Kanzlerin ins Gesicht sagt, er traue ihr nicht zu, das Vertrauen
zur Unionsbasis bis zur nächsten Bundestagswahl wieder herzustellen,
geht Merkel darauf nicht direkt ein. Eines will sie aber doch sagen:
«Den Begriff der Herrschaft des Unrechts», der von CSU-Chef Seehofer
im Migrationsstreit geprägt wurde, «den weise ich zurück».

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der direkt nach Merkel
spricht, hält eine Rede, die sich anhört, als wolle er bloß kein
neues Öl ins Feuer kippen. Bloß keinen neuen Streit - eine Woche vor
der Landtagswahl zuhause, wo der CSU der Absturz droht. Die
Gemeinsamkeit von CDU und CSU sei unverrückbar, ruft er - dabei gibt
es in der Union einige, die glauben, dass er im Streit der
vergangenen Monate auch mal mit einer Spaltung der CDU/CSU-Fraktion
geliebäugelt haben könnte.

Auch der zweite ausgewiesene Merkel-Kritiker an diesem Tag, der dem
besonders konservativen CDU-Lager zugerechnete Jens Spahn, vermeidet
jeden neuen Konflikt. Er gibt sich zupackend, staatstragend. Die
Menschen wollen Lösungen, keine leeren Versprechungen. Er als
Gesundheitsminister habe das schon vorgemacht, etwa in der Pflege.
Die Union ruft er zur Geschlossenheit auf. Es wirkt, als spreche da
ein Kandidat, vielleicht für den CDU-Vorsitz. Nach seiner Rede
bekommt er zwar kräftigeren Applaus als Merkel und auch etwas
längeren - kein Wunder, der Mann ist schon lange Liebling der JU.

Die Abrechnung für Merkel, das scheint fast allen Unionsleuten klar,
dürfte ohnehin erst nach den Landtagswahlen kommen. Kaum jemand hier
will ausschließen, dass es dann sogar zu einer Eigendynamik kommt,
die Merkel am Ende aus CDU-Vorsitz und Kanzleramt trägt.

Dass die Kanzlerin sich selbst da keine Illusionen macht, zeigt eine
kleine Szene mit Ziemiak zum Schluss. Gerade hat Merkel Wandersocken
und eine gelbe Windjacke für stürmische Zeiten bekommen. Aus diesen
Geschenken ziehe sie die Schlussfolgerung, «dass sie mich nicht im
Regen stehen lassen wollen. Das finde ich toll», sagt die CDU-Chefin
in ihrer gewohnt trockenen Art.