Trendumkehr: Zahl der Herzkrankheiten nimmt wieder zu Von Sabine Dobel, dpa

Herz-Kreislauferkrankungen bleiben die Todesursache Nummer eins. Rund
40 Prozent der Menschen sterben daran - und die Zahlen steigen wieder
leicht. Unterschätzt wird gelegentliches Herzrasen: Vorhofflimmern
ist eine Volkskrankheit. Apps können manchmal wichtige Daten liefern.

München (dpa) - Kardiologen sorgen sich um eine Zunahme der
Herz-Kreislauferkrankungen. Nach einem starken Rückgang von
Todesfällen um fast die Hälfte seit 1990 steige die Zahl seit 2015
wieder leicht an, sagte die Chefärztin der Kardiologie am Klinikum
München-Bogenhausen, Ellen Hoffmann, im Vorfeld des Münchner
Kardiologen-Kongresses.

Der Fortschritt der Medizin bei der Öffnung verstopfter Adern,
Herzschrittmachern, implantierbaren Defibrillatoren und künstlichen
Herzklappen sei an eine Grenze gelangt. Zudem werde die Bevölkerung
immer älter, sagte Hoffmann. «Wir brauchen nun vor allem bessere
Prävention.» Weiterhin seien Herz-Kreislauferkrankungen mit einem
Anteil von mehr als 38 Prozent die häufigste Todesursache in
Deutschland.

Beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC)
wollen vom 25. bis 29. August 31 000 Teilnehmer aus 150 Ländern in
München über Entwicklungen ihres Faches diskutieren. Hoffmann und ihr
Team organisieren dabei einen Informationstag für die Öffentlichkeit.

Vor allem Vorhofflimmern nimmt rapide zu. Dabei funkt das Herz
falsche Signale - die Folge ist plötzliches Herzrasen. Schon jetzt
seien zwei Prozent der Menschen zwischen 50 und 60 Jahren von dieser
Art der Rhythmusstörung betroffen, sagte Hoffmann. «Es ist eine
Volkskrankheit.» Bei den über 75-Jährigen seien es zehn Prozent. «D
as
heißt, dass das Vorhofflimmern mit der Lebenserwartung steigt.» Aber:
«Es geht linear nach oben - so stark nimmt die Lebenserwartung nicht
zu.» Bis 2060 rechnen die Mediziner mit fast einer Verdoppelung der
Fälle.

Viele hätten zwar ein hohes Gesundheitsbewusstsein und es werde
weniger geraucht, so Hoffmann. Dennoch machten immer mehr Menschen
Übergewicht, Diabetes, Bewegungsmangel und Bluthochdruck zu schaffen.
«Diese Risikofaktoren nehmen zu.» Schon jetzt kämen rund 300 000
Menschen pro Jahr wegen Vorhofflimmern ins Krankenhaus; es sei in
Kliniken die vierthäufigste Hauptdiagnose. Das plötzliche Herzrasen
sei zunächst nicht lebensbedrohlich. Häufig seien die Patienten
jedoch in der Lebensqualität beeinträchtigt. Vor allem aber steige
das Schlaganfallrisiko. Etwa ein Drittel aller Schlaganfälle könnte
auf Vorhofflimmern zurückgehen.

Vielfach bleibe die Erkrankung unerkannt, sagte Hoffmann. «Viele
Betroffene wissen gar nichts davon.» Die Rhythmusstörung tritt nur
gelegentlich auf - und gerade beim Arztbesuch schlägt das Herz
womöglich normal. Hier schaffen Smartphone-Apps und Cardio-Uhren neue
Möglichkeiten. Manche Patienten kämen schon mit selbst erstellten
Messreihen. «Das ist ein großer Trend. Es bringt zum Beispiel für
Patienten etwas, die Beschwerden haben, bei denen die Rhythmusstörung
aber noch nicht genau diagnostiziert ist. Oder nach einem
Schlaganfall, für den Vorhofflimmern als Ursache in Frage kommt.» Für

weniger technikaffine Patienten gebe es implantierbare EKG-Rekorder.

Die Behandlung ist Hoffmann zufolge bis heute nicht einfach.
Medikamente zur Blutverdünnung mindern vor allem das
Schlaganfallrisiko und können damit das Leben verlängern. Darüber
hinaus können mit einem über die Leistenvenen eingeführten Katheter
bei einem Eingriff (Ablation) die falschen Impulse im Herz
unterbunden werden. Eine Studie mit mehr als 2200 Patienten brachte
aber laut Hoffmann ein teilweise ernüchterndes Ergebnis: Der Eingriff
mindere zwar die Beschwerden, erhöhe aber nicht die Lebenserwartung.

Eine simple Therapie ist bei manchen Patienten der Verzicht auf
Alkohol. Unter dem Schlagwort Holiday-Heart-Syndrom war die
einschlägige Wirkung vor allem von Rotwein aufs Herz bereits bekannt.
Eine Studie auf dem Oktoberfest ergab im vergangenen Jahr, dass schon
junge Besucher nach erheblichem Biergenuss Rhythmusstörungen hatten.
«Alkoholkonsum kann eine Rolle spielen», sagte Hoffmann. «Patienten
berichten, dass sie vier bis fünf Stunden nach dem Konsum wach werden
und das Herz schnell und unregelmäßig schlägt.»

Drei Wochen nach dem Kardiologenkongress beginnt wieder das
Oktoberfest. Das Herzrasen nach der Wiesnmaß sei allerdings nicht das
ganz große medizinische Thema auf dem Volksfest. Das seien wohl eher
Schlägereien, andere Verletzungen und Alkoholvergiftungen, so
Hoffmann. Vorhofflimmern sei jedenfalls kein Grund, sich nicht auf
das Volksfest zu freuen.