Warum Deutschland? Was ausländische Arbeitnehmer locken soll Von Andreas Hoenig und Martina Herzog, dpa

Die Sprache ist schwer, die Qualifikation wird nicht anerkannt - für
ausländische Fachkräfte kann es viele Gründe geben, nicht nach
Deutschland zu kommen. Das soll sich ändern.

Berlin (dpa) - Die SPD hat es durchgesetzt, Bundesinnenminister Horst
Seehofer (CSU) muss es ausarbeiten: Das neue Einwanderungsgesetz.
Noch ist alles in der Schwebe, aber ein Eckpunktepapier aus dem
Innenministerium lässt erkennen, worum es geht. Ein Überblick:

Was ist geplant?

Vor allem ausgebildeten Fachkräften und Akademikern soll der Zugang
zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert werden. Zwei wichtige Punkte:
Die bislang für Nicht-EU-Ausländer geltende Beschränkung auf
«Engpassberufe», in denen es besonderen Bedarf gibt, soll fallen. Und
auch die Vorrangprüfung soll es im Prinzip nicht mehr geben. Dabei
wird bislang geprüft, ob eine Stelle nicht mit einem inländischen
Bewerber oder jemandem aus einem EU-Land besetzt werden kann.

Anerkennungsverfahren für ausländische Qualifikationen sollen
erleichtert, Beratungsmöglichkeiten ausgeweitet werden. IT-Fachkräfte
sollen auch ohne formalen Abschluss hier arbeiten dürfen, wenn sie
einen Arbeitsplatz vorweisen können. Deutschkurse sollen stärker
gefördert werden.

Was ist mit dem «Spurwechsel» vom Asyl- ins Aufenthaltsrecht?

Dieser zuletzt von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel
Günther (CDU) geforderte erleichterte Zugang abgelehnter Asylbewerber
zum Arbeitsmarkt kommt in dem Papier nicht vor. Man sei für eine
klare Trennung von humanitärer Aufnahme und Arbeitsmigration, sagte
eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am Freitag. «Würde man
diese beiden Bereiche miteinander verbinden, wäre eine Steuerung
nicht mehr möglich.»

Warum gibt es einen Fachkräftemangel?

Die deutsche Wirtschaft wächst seit Jahren, die Arbeitslosigkeit ist
gesunken. In manchen Regionen vor allem im Süden herrscht
Vollbeschäftigung. Das heißt aber auch: Viele Firmen haben zunehmend
Schwierigkeiten, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Insgesamt können
derzeit 1,6 Millionen Stellen nicht besetzt werden, weil Fachkräfte
fehlen, wie aus einem Arbeitsmarktreport des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages (DIHK) hervorgeht. Dazu kommt der demografische
Wandel. Für fast 60 Prozent der Unternehmen ist das Hauptmotiv für
die Suche nach Fachkräften das altersbedingte Ausscheiden von
Mitarbeitern. Jährlich scheiden laut Report rund 300 000 Beschäftigte
mehr aus Betrieben aus als junge hinzukommen.

Für Entlastung sorgte in den vergangenen Jahren die zunehmende
Erwerbstätigkeit von Frauen und eine hohe Zuwanderung aus dem
EU-Ausland. Weil es aber den Ländern in Südeuropa wieder besser geht,
lässt dieser Effekt nach. Daher heißt es auch im Eckpunktepapier:
«Wir werden uns zukünftig stärker dafür einsetzen, Fachkräften au
s
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union langfristige Chancen in
Deutschland aufzuzeigen.» Dazu kommen laut DIHK-Report steigende
Qualifikationsanforderungen - vor allem durch den Einsatz neuer
Technologien im Zuge der Digitalisierung.

Was sind die Folgen des Fachkräftemangels?

Die Auswirkungen sind massiv - und vielfältig. Weil es zu wenig
Fachkräfte auf dem Bau gibt, stockt zum Beispiel der Ausbau des
schnellen Internets oder die Sanierung der Verkehrsinfrastruktur -
auch weil in Behörden Planungskapazitäten fehlen. Kunden müssen
länger auf einen Handwerker warten, auch dort nimmt der
Fachkräftemangel nach Branchenangaben immer größere Ausmaße an.

Der Fachkräftemangel führt außerdem dazu, das viele Unternehmen an
die Grenzen ihrer Kapazitäten stoßen. Auch wenn die vorhandenen
Mitarbeiter mehr arbeiten, können zum Teil keine Aufträge angenommen
werden - was Folgen für das gesamte Wirtschaftswachstum haben kann.
«Insgesamt hat sich der Fachkräftemangel zu einem bedeutenden Risiko
für die deutsche Wirtschaft entwickelt», heißt es im Eckpunktepapier.


Welche Branchen sind besonders betroffen?

Zu wenig Fachkräfte gibt es etwa am Bau, in der Logistik, in der
Pflege oder im Gastgewerbe - aber laut DIHK-Report auch im
Maschinenbau und bei IT-Dienstleitern. Seit Jahren gibt es vor allem
in den sogenannten MINT-Fächern einen Mangel. So berichtete der
Branchenverband ZVEI, fast alle Elektro-Unternehmen hätten Probleme,
genug Mitarbeiter mit Fachwissen in Mathematik, Informatik,
Naturwissenschaften oder Technik (MINT) zu gewinnen.

Warum ist die Lage in der Pflege so brisant?

In der alternden Gesellschaft werden absehbar immer mehr Menschen
pflegebedürftig. Doch schon jetzt herrscht angesichts oft belastender
Arbeitsbedingen akute Personalnot. In der Alten- und Krankenpflege
sind 35 000 Stellen für Fachkräfte und Helfer unbesetzt. Und ohne
ausländische Kräfte ist es ohnehin kaum mehr möglich, ein Krankenhaus

oder eine Pflegeeinrichtung zu betreiben, wie Gesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) sagt.

Ergänzend zu Plänen, den Beruf für Inländer attraktiver zu machen,

sollen mehr Fachkräfte aus dem Ausland geholt werden - aus Staaten
mit junger Bevölkerung, um nicht andere Länder mit Bedarf zu
schwächen. Massive Probleme macht bisher aber etwa, dass Visa und die
Anerkennung von Abschlüssen viel zu lange brauchen. Seehofers
Eckpunktepapier sieht insbesondere für den Pflegebereich
«Berufsausbildungsprogramme mit integrierter Sprachausbildung» vor,
die «im Ausland angeboten und durch die Branche selbst finanziert
werden» sollen. Auch eine «gezielte Werbestrategie zur Gewinnung von
Fachkräften mit Blick auf ausgewählte Zielländer» ist geplant.

Welche ausländischen Arbeitnehmer gibt es schon?

Von den 32,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in
Deutschland hatten im vergangenen Jahr rund 3,6 Millionen einen
ausländischen Pass. Nach einer Auswertung der Bundesagentur für
Arbeit waren darunter 1,3 Millionen Hilfskräfte, 1,7 Millionen
Fachkräfte mit entsprechender Berufsausbildung sowie etwa 570 000
Hochqualifizierte mit einer Meisterausbildung oder einem
Hochschulabschluss.

Etwas mehr als die Hälfte der 3,6 Millionen ausländischen
Arbeitskräfte kam aus EU-Staaten. Die größte Gruppe der
Nicht-Europäer stellten die 62 317 Syrer, gefolgt von den
Arbeitskräften aus Indien (41 113), Afghanistan (40 310) und China
(37 297). Während bei den Zuwanderern aus Syrien und Afghanistan der
Anteil der Hilfskräfte vergleichsweise groß war, stellten die Inder
und Chinesen überdurchschnittlich viele Hochqualifizierte.