Unrecht an Heimkindern: Zeitzeugen berichten über Erfahrungen

Rotenburg (dpa) - Bei der Aufarbeitung ihrer dunklen Vergangenheit
hat eine Behinderteneinrichtung in Rotenburg an der Wümme Zeitzeugen
die Möglichkeit gegeben, öffentlich von ihren schlimmen Erlebnissen
zu berichten. Bei einer Podiumsdiskussion mit rund 130 Zuhörern
erzählten am Donnerstagabend frühere Patienten, wie sie in den
Nachkriegsjahrzehnten Gewalt und Missbrauch erfahren mussten. «Jeder
hat ein Recht, geachtet und geschätzt zu werden, egal ob er behindert
ist oder nicht», sagte Uwe Seebode, der nach eigenen Angaben in den
1970er viele erniedrigende Erfahrungen machen musste. «Ich hoffe,
dass so etwas nie wieder passiert. Jeder Mensch ist wertvoll.»

Welche Menschenrechtsverletzungen es in der Einrichtung gab, hat
jüngst das Buch «Hinter dem Grünen Tor. Die Rotenburger Anstalten der

Inneren Mission, 1945-1975» beschrieben. Demnach wurden dort noch
nicht zugelassene Medikamente an Kindern und Jugendlichen getestet,
der Alltag war geprägt von Fremdbestimmung, Arzneimitteln und Gewalt.
Die wissenschaftliche Studie entstand im Auftrag der kirchlichen
Einrichtung, die heute Rotenburger Werke heißt.

«Wir stehen in der Verantwortung, diese dunkle Zeit wirklich zu
beleuchten», sagte der Geschäftsführer der Rotenburger Werke,
Thorsten Tillner. Es gehe darum, den Menschen eine Stimme zu geben.
Claudia Schröder vom niedersächsischen Sozialministerium betonte, wie
wichtig die Aufarbeitung sei. «Es ist nach wie vor nicht
selbstverständlich, dass sich Einrichtungen so intensiv ihrer
Vergangenheit stellen.»

Heimkinder mit Beeinträchtigungen haben in der Nachkriegszeit
vielerorts Gewalt und Medikamentenmissbrauch erlebt. Das
Bundessozialministerium geht davon aus, dass es wahrscheinlich knapp
100 000 Frauen und Männer gibt, die nach 1949 als Kinder und
Jugendliche in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder
Psychiatrie Leid und Unrecht erfahren haben.