Dicke Hintern, riesiger Appetit: Das Problem mit den zu großen Kühen Von Christiane Oelrich, Sabine Dobel und Fabian Nitschmann, dpa

Was bringt bei einer Größe von 1,60 Meter 800 Kilogramm auf die
Waage? So manche Kuh. Und dass die Tiere immer größer werden, macht
manchem Bauern Kopfzerbrechen. Die Schweizer wollen nun eine neue
Kuh.

Bern/München/Wien (dpa) - Seit Jahren werden Kühe zu besonders
ergiebigen Milchlieferanten gezüchtet und dabei immer größer,
schwerer und gefräßiger. Für Bauern bringt das Probleme mit sich. Die

Tiere brauchen mehr Platz im Stall, fressen sehr viel und richten
zum Teil auch Trittschäden auf den Weiden an. In der Schweiz wirbt
die Interessengemeinschaft «Neue Schweizer Kuh» nun aktiv dafür,
Tiere zu züchten, die kleiner sind, leichter genügsamer und gesünder.


Auch in Deutschland ist das Problem erkannt: «Es ist eine Grenze
erreicht», sagt der Vorsitzende des Bundes Deutscher Milchviehhalter
(BDM), Stefan Mann. Er betreibt einen Biobetrieb im hessischen
Ebsdorfergrund bei Marburg. «Man kehrt zu robusten, langlebigen und
vitalen Tieren zurück.» Nach seinen Angaben wurden Jahrzehnte lang
bei der Züchtung aus Kanada, den USA und von anderswo Sperma und
Embryonen importiert, um noch größere Kühe zu züchten.

«Die Kühe werden jährlich 0,3 Zentimeter größer - dieser Trend mu
ss
gestoppt werden», sagt der Präsident des Schweizer Züchterverbandes
Swissherdbook, Markus Gerber. Züchter suchten gerne Stiere zur
Besamung aus, die weibliche Nachkommen mit möglichst ergiebigen
Eutern versprächen. Das bedeute aber automatisch immer größere Tiere.

«Man müsste den Zuchtwert «Euter» weniger gewichten», meint Gerbe
r.

Die knapp 700 000 Schweizer Kühe geben im Schnitt 7500 Liter Milch im
Jahr, rund doppelt so viel wie in den 60er Jahren. Spitzenkühe kommen
auf 12 000 Liter, wie Michael Schwarzenberger sagt, Tierzuchtlehrer
am landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg. Er
gehört zu den Mitinitiatoren der «IG Neue Schweizer Kuh».

«Unser Leitbild ist eine Kuh, die fruchtbar und gesund bleibt und bei
möglichst niedrigem Antibiotika-Einsatz das hier wachsende
Grundfutter, also Gras und Mais, möglichst effizient in Milch
umsetzt.» Die «IG Neue Schweizer Kuh» empfiehlt deshalb nun Stiere
zur Besamung, die kleinere, genügsamere und gesündere Kühe als
Nachwuchs versprächen. 500 bis 600 Kilogramm Gewicht bei einer Größe

von 1,40 bis 1,45 Meter seien gut, rät Schwarzenberger.

Das Problem der Schwergewichte: «Viele Ställe wurden vor 25, 30
Jahren nach der damaligen Größe der Tiere gebaut», sagt er. Für
heutige Kühe werde es dort oft sehr eng, vor allem, wenn sie liegen.
Das könne gesundheitliche Probleme mit sich bringen. Wenn Kühe
schlecht hochkommen, liegen sie länger, was zu Durchblutungsstörungen
führen kann, so führt es der Verband Swissmilk aus. Andere haben
Probleme mit Gelenken und Gliedmaßen.

Manns Vorgänger Romuald Schaber bewirtschaftet in Petersthal im
Landkreis Oberallgäu einen Betrieb mit 45 Milchkühen und 45 Stück
Jungvieh. Er überlegt jetzt, seinen 30 Jahre alten Stall zu ersetzen.
Die Kühe stießen bereits mit der Schulter oben am Fressgitter an.
«Wir haben schon überlegt, das Fressgitter hochzuschrauben.» Vor 30
Jahren hätten die Tiere eine Höhe von etwa 1,35 Metern gehabt, nun
seien es 1,45 Meter. Insgesamt gibt es laut BDM in Deutschland vier
Millionen Milchkühe plus Jungtiere.

Zweites Problem: die Tiere brauche Riesenmengen Futter. «Eine
richtige Hochleistungskuh kann man nicht nur auf die Weide schicken -
die braucht noch Kraftfutter und Beifutter, damit sie genug
Energieaufnehmen kann», sagt Mann.

Auch in Österreich werden die Kühe größer, wie es beim Bauernbund
heißt. Einige Bauern hätten die Ställe bereits angepasst. Im Prinzip

gebe es aber keine Probleme mit der Größe der etwa zwei Millionen
Tiere. «Die Rinder werden eher größer und höher, aber nicht unbedin
gt
schwerer», sagt Michael Pfaffenbichler, Mitarbeiter des Präsidenten
des Österreichischen Bauernbundes. «Man könnte es mit Sportlern
vergleichen: Weg vom Muskelprotz und eher hin zum Leichtathleten.»

In der Schweiz sind sehr schwere Tiere auch für die zarten Alpwiesen
ein Problem. Zertrampelte Weiden erholen sich schlechter. Schwere
Tiere seien nicht vorteilhaft für die Alpwirtschaft, sagt auch Bauer
Schaber. «Man schaut, dass man eher kleinere Tiere raufgibt.» Große
Probleme mit zertrampelten Wiesen gebe es aber nicht: «Insgesamt ist
die Alpwirtschaft absolut positiv für die Natur.»