Der tiefe Fall nach der Karriere - Experte rät zu Betreuungssystem Von Patrick Reichardt, dpa

Depressionen, private Probleme, Schulden: Leistungssportler fallen
nach der Karriere oft tief. Der DOSB will seine Athleten für die Zeit
danach wappnen - und dafür gleich im doppelten Sinne vorsorgen.

Frankfurt/Main (dpa) - Siege, jahrelanger Ruhm und zahllose Freunde
prägen und zieren die Karrieren von erfolgreichen Sportlern,
Preisgelder und millionenschwere Werbeverträge ihre jeweiligen
Konten. Doch viel schwerer, als im Rampenlicht zu stehen, scheint
der Abgang, das Leben danach. Private Probleme, Geldsorgen oder sogar

eine vorübergehende Festnahme wie zuletzt bei Ex-Radprofi Jan Ullrich
dokumentieren oft den tiefen Fall von einstmals gefeierten Helden. Je
größer der Ruhm und die gefeierten Erfolge, desto brachialer ist oft

der Absturz, wenn es nicht mehr um die sportlichen Fähigkeiten geht.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will dem entgegensteuern und
führte 2013 ein Zehn-Punkte-Programm zur Dualen Karriere ein. Doch
nicht nur jetzt aktive Sportler können von dem System profitieren,
sondern auch frühere Stars, die heute mit Problemen zu kämpfen haben.

«Da ist ein Betreuungssystem notwendig, ich glaube, das können wir
über die Laufbahnberater und die Sportpsychologen der
Olympiastützpunkte leisten. Es gibt oft Schwierigkeiten, von der
öffentlichen Bühne des Spitzensports ins normale Leben umzusteigen»
,
sagte DOSB-Projektleiter Sven Baumgarten der Deutschen Presse-Agentur
am Donnerstag. Für ihn ist klar, dass der DOSB in dieser speziellen
Situation helfen kann. «Wenn ein weltbekannter Sportler anfragt, wird
er sicherlich nicht weggeschickt», sagte Baumgarten.

Beispiele für Probleme bei der Karriere nach der Karriere gibt es
einige. Bei dem früheren Tennis-Star Boris Becker wurden private 
Verfehlungen und seine finanzielle Situation stets öffentlich
ausgetragen. «Seit über 30 Jahren lebe ich öffentlich. Dafür zahlt

man einen Preis», sagte der 50 Jahre alte Becker jüngst in einer
ARD-Dokumentation. Zwar hat sich der frühere Wimbledon-Sieger in der
 
Tennis-Szene als Ex-Trainer von Novak Djokovic und TV-Experte sowie
als Chef des deutschen Herren-Tennis längst etabliert, sein
Privatleben mit all den Höhen und Tiefen wird aber noch immer in den
Boulevard-Medien breitgetreten.

So geschieht es nun auch mit Ullrich. Nach dem Zwischenfall mit
Schauspieler und Nachbar Til Schwieger, der in einer vorübergehenden
Festnahme Ullrichs endete, entschuldigte sich der 44 Jahre alte
ehemalige Radstar öffentlich. «Die Trennung von Sara und die Ferne zu

meinen Kindern, die ich seit Ostern nicht gesehen und kaum gesprochen
habe, haben mich sehr mitgenommen. Dadurch habe ich Sachen gemacht
und genommen, die ich sehr bereue», sagte der Tour-de-France-Sieger
von 1997 der «Bild»-Zeitung vom Montag.

Ullrichs Ehefrau Sara war dem Bericht zufolge mit den drei
gemeinsamen Söhnen nach Deutschland gezogen. Ullrich kündigte in der
«Bild» mit Blick auf seine Probleme an: «Aus Liebe zu meinen Kindern

mache ich jetzt eine Therapie.» Er bestreite aber, süchtig zu sein,
schrieb die Zeitung. Ullrich ließ außerdem offen, um was für eine Art

von Therapie genau es sich handelt.

Der DOSB will mit seinem Zehn-Punkte-Programm in zukünftigen Fällen
schon während der Karriere das Leben danach stärker thematisieren.
«Eine Prämisse ist, dass wir sagen: Das Ende der Sportkarriere ist
ein Bestandteil der Sportkarriere», sagte Baumgarten. Detailliert und

mit entsprechender Vorbildung soll der Schlussstrich geplant und der
direkte Sprung ins weitere Berufsleben ermöglicht werden.

Für Baumgarten steht fest, dass auch Sportstars mit riesiger
Reichweite und Millionengagen schon während ihrer Karriere vorsorgen
sollten. «Ich bin der Meinung, dass die Duale Karriere vollkommen
unabhängig von der Einnahmenseite funktionieren sollte. Auch
ehemalige Topverdiener im Sport suchen völlig zurecht nach einer
beruflichen Perspektive», sagte der DOSB-Projektleiter. Es gehe nach
der Karriere nicht nur um eine finanzielle Absicherung, sondern
gerade bei Top-Sportlern auch um eine erfüllende berufliche 
Tätigkeit, erklärte Baumgarten.