Bayerns Wahlkampf und Berlins Ärger: 100 Tage Ministerpräsident Söd er Von Marco Hadem, dpa

Am 16. März wurde der Wunsch von Markus Söder wahr: Regierungschef im
Freistaat Bayern. Seither ist der CSU-Mann unermüdlich im Einsatz.
Nicht nur in seiner Heimat, auch im Bund - und nicht zur Freude
aller.

München (dpa) - Zugegeben, knapp 100 Tage nach seiner Wahl zum
bayerischen Ministerpräsidenten ist Markus Söder seinem großen Ziel
noch nicht wirklich nähergekommen. Obwohl die CSU ihren Sinkflug
stoppen und sich bei Umfragewerten um die 40/41 Prozent einpendeln
konnte, ist die Verteidigung der absoluten Mehrheit bei der
Landtagswahl am 14. Oktober nach wie vor in weiter Ferne. Was liegt
da näher, als die eigene Reichweite weit über die Landesgrenze hinaus
auszudehnen. Das hat in den vergangenen Tagen im Asylstreit von CDU
und CSU nicht nur Kanzlerin Angela Merkel zu spüren bekommen.

Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich der Mann, in dessen Büro in
der Staatskanzlei ein überlebensgroßes Bild der Mondlandung hängt,
schon lange nicht beklagen. Im Wettstreit mit langjährigen
Ministerpräsidenten und Bundespolitikern kann Söder auf seinen
Markenkern vertrauen - er ist medial omnipräsent, bezieht klare
Kante, provoziert viel und streitet auch in Talkshows gerne.

Nachdem Söder sich in den Wochen vor seinem Amtsantritt am 16. März
bewusst mit polarisierenden Äußerungen zurückhielt, ist er im
Asylstreit wieder in seinem Element angekommen. Nicht nur in
Interviews hat er sich neben Parteichef Horst Seehofer und
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zu einem der Protagonisten
im erbitterten Machtkampf mit Merkel und der CDU über die Neuordnung
der deutschen sowie europäischen Zuwanderungspolitik gemausert.

Auch parteiintern und über die Grenzen Deutschlands hinaus ist die
Meinung des CSU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl von besonderer
Bedeutung. Denn nicht nur Söder und Seehofer wissen ganz genau, dass
der Ausgang des Streits entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der
Wahl im Herbst haben wird. Im Gegenzug versuchen auch Merkel-Kritiker
wie jüngst Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, in der europäischen
Debatte Söders Popularität und Meinung für ihre Zwecke auszunutzen.

Solange er einen eigenen Vorteil darin sieht, hat Söder damit kein
Problem. Im Gegenteil. Einen direkten Zusammenhang mit der Wahl und
der Asyldebatte weist Söder zudem kategorisch von sich. Ihm bereite
nicht eine einzelne Wahl Sorge, sagte er am Donnerstag im ZDF. Er
mache sich Sorgen um die Demokratie in Deutschland.

«Die Wahl wird eine sehr bewusste Entscheidung», sagte Söder der
Deutschen Presse-Agentur zur aktuellen Verquickung von
bundespolitischer und landespolitischer Lage. Obwohl er zu Beginn
seiner Amtszeit immer wieder betonte, keinen Wahlkampf gegen Berlin
führen zu wollen, werde die CSU im Wahlkampf mit dem Finger auf die
Bundespolitik zeigen: Die Frage laute dann: «Welches Politikmodell
will man unterstützen? Das bayerische oder das Berliner?». Berlin
stehe letztlich nur für ein blockierendes Koalitionssystem.

Auf landespolitischer Ebene kann man Söder in seinen ersten 100 Tagen
als Ministerpräsident ebenfalls kein mangelndes Engagement vorwerfen.
Der 51-Jährige gönnt weder sich noch seiner Partei oder seinen
Kritikern Verschnaufpausen. Stolze 100 Einzelpunkte kündigte er in
seiner ersten Regierungserklärung an. «Ich glaube die
Umsetzungsgeschwindigkeit ist die höchste, die es seit vielen Jahren
in Bayern gibt», sagt er nicht ohne Stolz. Und fernab der
persönlichen Wertung über die Inhalte dürfte dies auch die Opposition

nicht bestreiten.

Tatsächlich vergeht seit Mitte März kaum eine Woche, in der Söders
ansonsten eher unauffällig agierendes Kabinett nicht neue Beschlüsse
fasst, die dank der milliardenschweren Rücklage des Freistaats auch
gerne ins Geld gehen dürfen. Söder: «Es ist auch wichtig, dass die
Leute merken, dass was passiert.»

Rund eine Milliarde Euro - entnommen aus der bestens gefüllten
Staatskasse - stehen für Söders Initiativen und Ideen zur Verfügung:

Und dies sollen bis zum Wahltag auch die Menschen im Land spüren.
Nicht nur im eigenen Portemonnaie wenn ab September das neue
Familien- und Pflegegeld ausgezahlt wird. Oder - und da schließt sich
wieder der Kreis zum bundespolitischen Streit mit der Kanzlerin -
durch noch weiter rückläufige Asylbewerberzahlen beziehungsweise
steigende Abschiebezahlen infolge des landeseigenen Asylplans
inklusive neuer Grenzpolizei und eigenen Abschiebeflügen.

«Ich versuche zu zeigen, dass wir Macher statt bloße Mahner sind»,
sagt Söder zu seiner Strategie. In diese einkalkuliert sind auch
seine Kritiker. Einzig die Reaktionen auf seinen Kreuzerlass für alle
Foyers der Landesbehörden haben selbst Söder auf dem falschen Fuß
erwischt: Als er im Blitzlichtgewitter der Kameras vor einigen Wochen
ein Kruzifix an eine Wand in der Staatskanzlei nagelte, hagelte es
von hohen Kirchenvertretern massive Kritik. Doch spätestens seit
Söders anschließender Audienz bei Papst Franziskus und dessen
Vorgänger Benedikt XVI. im Vatikan ist auch diese Debatte durch.

Die Oppositionsfraktionen werfen Söder unisono leere Versprechungen,
Luftnummern, Blendwerk, Schall und Rauch vor. Doch SPD, Freie Wähler

und Grüne haben bislang noch kein Mittel gegen ihn gefunden - trotz
verbaler Angriffe, eines Söder-kritischen Untersuchungsausschusses im
Landtag sowie Klagen gegen das umstrittene Polizeiaufgabengesetz.
Hinzu kommt, dass mehr als die Hälfte der Bayern in Umfragen Söder
eine gute Arbeit bescheinigen.

Entsprechend selbstbewusst gibt dieser sich: «Ihr Vorwurf: Der macht,
was er sagt. Ich sehe das als Lob. Und dann: Wir geben Geld für die
einheimische Bevölkerung aus. Dazu stehe ich auch.» Bei aller zur
Schau gestellten Gelassenheit ist Söder aber auch klar: Ob er und die
CSU die Wahl gewinnen werden, entscheidet sich am Ende nicht in
Bayern, sondern an der Lösung der Asylfrage in Brüssel und Berlin.
Und das dürfte den Kontrollmenschen Söder gar nicht freuen.