Experten: Hunderte Briten in Klinik durch unnötige Opioide gestorben Von Silvia Kusidlo, dpa

Gesundheitsskandal in England: Immer wieder gab es Beschwerden über
eine Klinik, in der sich der Zustand vieler Senioren dramatisch
verschlechterte - und viele starben. Eine Untersuchungskommission
spürte nach eigenen Angaben nun den schockierenden Grund auf.

Gosport (dpa) - Bis zu 650 Patienten sind einer Untersuchung zufolge
in einem britischen Krankenhaus wegen unnötig verabreichter Opioide
gestorben - in einem Zeitraum von rund zehn Jahren. Der unabhängige
Report prüfte die Verschreibungen des Gosport War Memorial Hospitals
in der südenglischen Grafschaft Hampshire. Die Medikamente wurden
etwa von 1989 bis 2000 ohne medizinische Rechtfertigung und in zu
hohen Dosen verabreicht, wie aus dem am Mittwoch veröffentlichten
Report hervorgeht. Die Klinik äußerte sich zunächst nicht dazu.

Premierministerin Theresa May entschuldigte sich bei den Familien der
meist betagten Opfer, dass sie so lange auf Antworten seitens des
staatlichen Gesundheitsdienstes NHS warten mussten.
Gesundheitsminister Jeremy Hunt bezeichnete den Report im Parlament
als schockierend. Polizei und Staatsanwaltschaft würden nun das
Material sichten.

Bei 456 Patienten konnte dem Bericht zufolge ein Zusammenhang
zwischen Opioiden und ihrem Tod nachgewiesen werden. Bei weiteren
etwa 200 Fällen halten die Experten dies für wahrscheinlich - jedoch
lagen bei diesen Patienten nicht alle Unterlagen vor.

Opioide werden vor allem zur Schmerzbekämpfung und Betäubung
eingesetzt. Sie können aber abhängig machen und bei Überdosierungen
lebensgefährliche Folgen wie Atemlähmung haben.

Das Krankenhaus steht seit langem in der Kritik. Viele Angehörige
hatten Verdacht geschöpft und sich beschwert, wurden dem Report
zufolge aber «konsequent im Stich gelassen». Der Bericht wies
mehreren Stellen Versagen vor, darunter dem Krankenhaus-Management,
der Polizei von Hampshire und der Staatsanwaltschaft.

Der Bericht sprach von einem «institutionalisierten Regime», dem
Patienten und deren Angehörige machtlos ausgeliefert waren. Im
Mittelpunkt des Skandals steht laut Report eine Ärztin der Klinik,
die in den 1990er Jahren die Verschreibungen überwachte. Ihr war in
zwölf Fällen Fehlverhalten nachgewiesen worden. Sie wurde aber nicht
angeklagt und ging den Angaben zufolge nach den Vorwürfen in Rente.

Angehörige der Opfer wurden vorab über die Ergebnisse des Reports
informiert. Sie berichteten Medien, wie sich der Gesundheitszustand
ihrer Angehörigen in dem Krankenhaus plötzlich dramatisch
verschlechterte - bis zum Tod. Vor der Kathedrale von Portsmouth
hielten sie weinend Bilder der Opfer in den Händen.

Die Untersuchungskommission wurde vom früheren Bischof von Liverpool,
James Jones, geleitet. Sie prüfte viele Sterbeurkunden, medizinische
Berichte und sprach mit mehr als 100 Familien. An dem 370 Seiten
starken Report arbeitete die Kommission vier Jahre lang.

«Opioide können Leiden lindern, aber auch töten», sagte der Vorstan
d
der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. «Grauzonen sind
auch hierzulande lebensgefährlich. Daher muss sich die Medizin dieser
Verantwortung in ihren Leitlinien stellen. Es kann nicht sein, dass
Schmerzmediziner bei ein und demselben Fall zu unterschiedlichen
Ergebnissen kommen», teilte Brysch mit.