Von blass bis übereifrig: Die Bundesminister in der Einzelkritik Von Teresa Dapp, dpa

Merkels Mannschaft steckt nach 100 Tagen mitten drin in Turbulenzen.
Ein paar Minister und Ministerinnen haben in ihrem Fachbereich schon
viel vorgelegt - andere auch außerhalb.

Berlin (dpa) - Eine, die Justizministerin, startete schon an Tag eins
durch, von anderen war bisher nicht übermäßig viel zu hören. Im
Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzen ganz
unterschiedliche Charaktere. Ihr Kanzleramtsminister Helge Braun
läuft sozusagen außer Konkurrenz, denn es gehört zu seinem Jobprofil,

die Regierung möglichst geräuschlos zu koordinieren. Wie sich die
anderen 14 schlagen:

DIE UNZUFRIEDENE: Ursula von der Leyen (59) kämpft in ihrer zweiten
Amtszeit im Verteidigungsministerium mit den gleichen Problemen wie
in der ersten. Die Bundeswehr ist am Anschlag gefordert, gleichzeitig
sind die Waffensysteme nur bedingt einsatzbereit, die Soldaten
mangelhaft ausgerüstet. Die CDU-Politikerin will deshalb vor allem
eins: mehr Geld für die Truppe - und zwar einige Milliarden mehr als
im Koalitionsvertrag vereinbart.

DER ERBE: Erstmals seit Jahrzehnten stellt die CDU wieder den
Wirtschaftsminister - damit ist Peter Altmaier (60) ein später Erbe
des «Vaters» des Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard. Altmaier soll das
wirtschaftspolitische Profil der CDU aufpolieren und die Soziale
Marktwirtschaft auf Vordermann bringen. Viel Konkretes hat er noch
nicht vorgelegt. Dafür war er als Vermittler im Handelskonflikt mit
den USA und im Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine
unterwegs.

DIE FRISCHE: Nach ihrem meist bedächtig auftretenden CSU-Vorgänger
Christian Schmidt startete Julia Klöckner (CDU) frisch und freudig
ins Amt als Agrarministerin - und setzt etwa bei den Vorbereitungen
für ein «Tierwohllabel» neue Akzente. Für das Unkrautgift Glyphosat

legte sie einen Katalog mit vielen Beschränkungen vor. Eine radikale
Agrarwende, nach der Kritiker rufen, will die 45-Jährige nicht - aber
Umweltschutz und Landwirtschaft über alte Gräben hinweg versöhnen.

DIE BLASSE: Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) war zum
Amtsantritt noch ein unbeschriebenes Blatt in der Bildung. Mit der
Digitalisierung von Deutschlands Schulen ist die 47-Jährige für ein
prioritäres Projekt der Koalition zuständig. Die breite
Öffentlichkeit hat in den ersten 100 Tagen allerdings noch nicht
viele markante Auftritte von Karliczek erleben können.

DER KONZENTRIERTE: Als langjähriger Fachpolitiker brauchte Jens Spahn
keine Eingewöhnung als Gesundheitsminister. Rund um den Amtsantritt
machte er aber mit forschen Ansagen zu Hartz IV und Recht und Ordnung
klar, dass mit ihm weiter als Stimme der Konservativen in der CDU zu
rechnen ist. Inzwischen konzentriert sich der 38-Jährige strikt auf
die regierungsamtliche Sache und brachte schon mehrere Vorhaben von
der Pflege bis zu Entlastungen für die Beitragszahler auf den Weg.

DER SUPER-STUR-MINISTER: Horst Seehofer wollte ein «Superministerium»
und ist nun zuständig für innere Sicherheit, Terrorismus, Bau und
«Heimat». Nicht nur beim Baukindergeld gibt der CSU-Chef mächtig Gas.

Die ersten seiner Asyl-Ankerzentren will er am liebsten schon im
Spätsommer eröffnen. In der Affäre um Missstände im Asyl-Bundesamt

gibt er den Chefaufklärer. Im Streit um die Zurückweisung von
Asylbewerbern an der Grenze will sich der 68-Jährige Merkels Vorgaben
nicht beugen. Wie weit wird er den Machtkampf treiben?

DER DAMPFMACHER: Andreas Scheuer (43) hat als Verkehrsminister gleich
losgelegt. Forscher Spruch: «Ich bin nicht der Buddy der Auto-Bosse,
ich bin der Kumpel der Fließbandarbeiter.» Nach neuen Abgas-Vorwürfen

zitierte Scheuer Daimler-Boss Dieter Zetsche ins Ministerium, es
folgten Pflicht-Rückrufe für Hunderttausende Fahrzeuge. Ein Erfolg
des CSU-Manns: Er löste einen jahrelangen Rechtsstreit wegen der zu
späten Einführung der Lkw-Maut in Deutschland.

DER FLUCHTURSACHENBEKÄMPFER: Gerd Müller (62) hat für seine zweite
Amtszeit als Entwicklungshilfeminister eine klare Agenda. Projekte in
Afrika oder im Nahen Osten sollen Flüchtlinge zurück in ihre Heimat
locken. Der CSU-Politiker ging auf Konfrontation mit Finanzminister
Olaf Scholz: Der Hilfsbedarf von Syrien bis Afrika sei gewaltig,
deshalb brauche er Hunderte Millionen mehr. So manche seiner
bisherigen Initiativen wartet noch auf durchschlagende Effekte.

DER VIELFLIEGER: Außenminister Heiko Maas (SPD) hat in seinen ersten
100 Tagen rekordverdächtige rund 120 000 Flugkilometer zurückgelegt -
dreimal um die Welt. Mit seiner harten Haltung gegenüber Russland hat
der 51-Jährige sich von Vorgänger Sigmar Gabriel abgegrenzt, sich
gleichzeitig aber auch Ärger in der SPD eingehandelt. Erster
handfester Erfolg: die Wiederaufnahme der Gespräche über den
Ukraine-Konflikt auf seine Einladung.

DIE NEUE AUS NEUKÖLLN: Franziska Giffey (40) ist neben der Kanzlerin
die einzige Ostdeutsche im Kabinett. Die Familienministerin war mit
Vorschusslorbeeren in die Regierung gewechselt. Als
SPD-Bürgermeisterin des Berliner Problembezirks Neukölln galt sie als
konsequent und unbeugsam. Passiert ist in den ersten 100 Tagen noch
nicht allzu viel. Das «Gute-Kita-Gesetz» ist in der Abstimmung, der
Haushalt übersteigt erstmals die Zehn-Milliarden-Grenze, das
Präventionsprogramm «Demokratie leben» wurde verlängert.

DER EISERNE: Olaf Scholz hat einen neuen Spitznamen: Olaf Schäuble -
da er wie sein CDU-Vorgänger eisern auf einen Haushalt ohne neue
Schulden setzt. Der Finanzminister will zwar «mehr Europa» in Zeiten
von Donald Trump, aber nicht unbegrenzt mehr Geld bereitstellen.
Hanseatisch dröge, aber mit klarem Kurs, derzeit ist der 60-Jährige
der beliebteste SPD-Politiker.

DIE ÜBEREIFRIGE: Katarina Barley (49) hatte es eilig. Gleich am
ersten Tag im Amt gab die Justizministerin ihren Entwurf zu
Musterprozessen für Verbraucher in die Ressortabstimmung - er ist
inzwischen beschlossen. Nun ist das zweite Großprojekt auf dem Weg:
Ihr Paket gegen Wucher-Mieten wird in der Regierung abgestimmt. Auch
sonst mischt sich die SPD-Frau ein, etwa im Facebook-Skandal und beim
Datenschutz - eigentlich eher Terrain von Innenminister Seehofer.

DIE DIPLOMATISCHE: Als Umweltministerin müsste Svenja Schulze (49)
eigentlich fast immer über Kreuz liegen mit den Kollegen von
Wirtschaft, Verkehr und Agrar. Als übermäßig streitlustig fiel sie
bisher nicht auf, fordert aber immerhin mehr Klimaschutz,
Nachrüstungen von Dieselautos und weniger Bienengift auf den Äckern.
Beim Kohleausstieg, den nun eine Kommission regelt, legt die
SPD-Politikerin viel Wert auf soziale Fragen und neue Jobs.
Wirtschaft und Umwelt zu versöhnen nennt sie ihr Ziel.

DER FLEISSIGE: Arbeitsminister Hubertus Heil (45) hat die
Rentenkommission eingesetzt, eine Offensive für Qualifizierung
vorgelegt, einen Gesetzentwurf für einen sozialen Arbeitsmarkt für
Langzeitarbeitslose, und er hat das Recht auf Rückkehr von Teilzeit
in Vollzeit durchs Kabinett gebracht. Die Union ist nicht immer
einverstanden. Aber Heil ist sich seiner Sache sicher - schließlich
verantwortet er die Umsetzung zentraler SPD-Prestigeprojekte.