Mit Polizei zum Unfallort: Gefährlicher Job für Südafrikas Sanitäte r Von Kristin Palitza, dpa

Sie wollen Leben retten und müssen dabei ihr eigenes aufs Spiel
setzen. Sanitäter in Südafrika sind aufgrund hoher Kriminalität und
wegen Bandenkriegen großen Gefahren ausgesetzt.

Kapstadt (dpa) - Rettungssanitäter Quinton Hendricks hat seine
Schicht beendet. Gerade eben hat der 43-Jährige noch einen Mann für
tot erklärt, während um ihn herum Schüsse fielen. Jetzt sitzt er vor

einer Tasse Kaffee. «Wir werden fast jeden Tag mit Gewaltübergriffen
konfrontiert.» Ihn könne fast nichts mehr schockieren. Hendricks
arbeitet für den medizinischen Notdienst der südafrikanischen
Westkap-Provinz, in der die Touristenmetropole Kapstadt liegt, in der
auch jedes Jahr Tausende Deutsche Urlaub machen.

Besonders in den Gegenden rund um Kapstadt, in denen Verbrecherbanden
aktiv sind, ist es gefährlich für Sanitäter, zu einem Unfallort zu
fahren. Denn dort treffen sie nicht nur auf Opfer von Gewalt, sondern
sind oft selbst Gewaltverbrechen ausgesetzt, sagt Noel Desfontaines,
Generalsekretär der südafrikanischen Gewerkschaft für
Gesundheitsmitarbeiter (Hospersa). Allein im Westkap gebe es jährlich
mehr als 100 Übergriffe auf Krankenwagen.

Sanitäter werden mit vorgehaltener Waffe ausgeraubt, mit Messern
bedroht. Die Täter stehlen alles: Handys, Bargeld, medizinische
Geräte und die Fahrzeuge selbst. Im November erlag Medienberichten
zufolge ein achtjähriger Junge seinen Kopfverletzungen auf dem Weg
ins Krankenhaus, als der Krankenwagen mit Ziegelsteinen angegriffen
und die Besatzung mit Waffen bedroht wurde.

Südafrika gehört zu den gewalttätigsten Ländern der Welt. Nach
Regierungsangaben wurden 2017 mehr als 19 000 Menschen ermordet, rund
140 000 Menschen mit Waffengewalt beraubt und 156 000 Menschen Opfer
von Gewalt.

Daher dürfen Sanitäter nachts nur noch unter Polizeischutz in von
Gangs kontrollierte Gegenden fahren. Im Westkap gibt es 15 solcher
«roten Zonen», in denen Gewaltverbrechen zum Alltag gehören. Auch in

anderen Regionen Südafrikas werden Übergriffe auf Rettungspersonal
immer häufiger, so Hospersa. Für Unfallopfer bedeutet das oft lange
Wartezeiten, bis ein Krankenwagen kommt. Das kann zwischen Leben und
Tod entscheiden. Wenn ein Notruf kommt, müssen Sanitäter erst auf
eine Eskorte warten, aber die steht nicht immer sofort zur Verfügung.

Doch die Lage in den «roten Zonen» ist so brenzlig, dass Sanitätern
keine Wahl bleibt. Rajendra Laljith hatte mit seiner Kollegin Tabisa
Saliwa gerade vor einem Haus angehalten, aus dem ein Notruf kam, als
sich bewaffnete Männer ihrem Krankenwagen näherten. Einer von ihnen
riss die Hintertür auf, doch Laljith drückte aufs Gas und fuhr davon,
bevor jemand ins Auto springen konnte.

Ein anderes Mal mussten Laljith und Saliwa von fünf Polizeiautos zu
einem Unfallort begleitet werden, an dem sich ein blutiger
Bandenkrieg abspielte. Es dauerte 90 Minuten, bis sich der
Schusswechsel soweit beruhigt hatte, dass die Sanitäter einem Mann
mit mehreren Schussverletzungen helfen konnten.

Laljith, der den Job seit 31 Jahren macht, sagt, er könnte endlos
solche Beispiele aufzählen. Und mit jedem Jahr werde die Situation
schlimmer. In «roten Zonen» könnten Sanitäter sich nachts nur wenig
e
Meter vom Krankenwagen wegbewegen, so Laljith. «Wir lassen uns die
Patienten zum Krankenwagen bringen und fahren erst in Sicherheit,
bevor wir sie stabilisieren.» Das sei ein schwieriger Kompromiss, da
manchmal jede Minute zähle, aber es sei schon unzählige Male
vorgekommen, dass Sanitäter in Häusern ausgeraubt oder angegriffen
worden seien, erzählt Laljith.

«Die Gefahr ist Teil des Jobs», meint Laljith. «Man muss ständig au
f
der Hut sein.» In den Anfangsjahren sei er nervös und gestresst
gewesen, erinnert sich Laljith, aber mittlerweile sei die ständige
Gefahrenlage zur Normalität geworden.

Die Gewerkschaft Hospersa fordert seit Monaten vom
Gesundheitsministerium bessere Sicherheitsvorkehrungen für die
Mitarbeiter der Rettungsdienste. «Unsere Sanitäter sind verpflichtet,
der Gesellschaft zu dienen, aber die Umstände, in denen sie arbeiten
müssen, sind unzumutbar», beschwert sich Desfontaines.

Hospersa fordert, dass Sanitäter im Umgang mit Gewalt geschult und
eventuell sogar mit Waffen ausgestattet werden. Zusätzlich zur
Polizei soll auch das Militär eingeschaltet werden.

Trauma-Beratung steht für die Sanitäter an der Tagesordnung. Und
trotzdem setzen sich Frauen und Männer wie Hendricks, Laljith und
Saliwa jeden Tag wieder in Krankenwagen, um Menschenleben zu retten.
«Meine Frau hat jeden Tag Angst, dass ich nicht nach Hause komme,
aber ich helfe einfach gern», sagt Hendricks, ein vierfacher Vater.