Boskop und Berlepsch - Alte Apfelsorten finden immer mehr Liebhaber Von Catherine Simon, dpa

Wegen des Klimawandels und des Insektensterbens könnten
Streuobstwiesen wieder wichtiger werden. Meist wachsen hier zudem
alte Obstsorten abseits des vereinheitlichten Supermarkt-Geschmacks.
Für historische Äpfel und Birnen finden sich immer mehr Liebhaber.

Gnotzheim (dpa) - Sie heißen Zwiebelborsdorfer, Roter Herbstkalvill
oder Kesseltaler Streifling - und sie werden von Maria Gentner
liebevoll gehegt und gepflegt. Mit ihrer «Obstarche» hat es sich die
Agraringenieurin aus Mittelfranken zur Aufgabe gemacht, alte und
regionale Apfel- und Birnensorten zu erhalten. «Die Bäume würde es
nicht mehr geben, wenn wir sie nicht gerettet hätten», sagt die
50-Jährige. Mehr als 100 verschiedene Apfel- und Birnensorten wachsen
auf ihrer 2,5 Hektar großen Wiese in Gnotzheim im Landkreis
Weißenburg-Gunzenhausen - auf einer Anhöhe mit weitem Blick ins Tal.

«Diese alten Sorten sind ein Kulturgut», sagt Gentner, sie müssten
daher erhalten werden. Längst sind viele Sorten unwiederbringlich
verschwunden. Obstkundler gehen davon aus, dass es im 19. und 20.
Jahrhundert mindestens 2000 bis 3000 Apfelsorten im deutschsprachigen
Raum gab. «Dies ist aber eher die untere Grenze», sagt Jens Meyer vom
Erhalternetzwerk Obstsortenvielfalt. «Es könnten auch 4000 bis 5000
Sorten gewesen sein.» Er geht davon aus, dass die Hälfte der von
Pomologen - Obstbauexperten - beschriebenen Sorten verschwunden sind
oder nicht mehr erkannt werden.

In Supermärkten sind nur noch etwa 15 Sorten Äpfel zu finden, die
letztlich auf nur drei Sorten basieren. «Ein paar Sorten haben sich
herauskristallisiert, die der Handel haben will», erklärt Zimmermann.
Ein süßer, fruchtiger Geschmack, gute Erträge, Fruchtgröße und
Einheitlichkeit waren ausschlaggebend. Diese Äpfel sind jedoch oft
pflegeintensiv und werden auf Plantagen angebaut.

Alte Sorten wachsen dagegen meist auf Streuobstwiesen. Allein in
Bayern seien in den vergangenen 50 Jahren etwa 14 der einst 20
Millionen Streuobstbäume verloren gegangen, sagt Norbert Metz vom
Landschaftspflegeverband Mittelfranken. «Damit sind auch in hohem
Umfang Sorten verloren gegangen.» Meyer vom Erhalternetzwerk ergänzt:
Historische Obstsorten seien in Deutschland je nach Region noch weit
verbreitet - «allerdings vor allem in alten Bäumen, so dass die
Zukunft nicht besonders rosig aussieht». In Mecklenburg zum Beispiel
gebe es noch reichlich alte Bäume. «Aufgrund der Altersstruktur gehe
ich aber davon aus, dass der größte Teil in 20 Jahren verschwunden
ist.»

Dabei lohnt es sich aus mehreren Gründen, historische Obstsorten zu
erhalten: Für Neuzüchtungen ist ein großer Genpool sinnvoll. Einige
der alten Apfelsorten sind zudem weniger anfällig für Krankheiten wie
Obstbaumkrebs, Mehltau oder Schorf. Niemand wisse, welche Krankheiten
es künftig beim Obst gebe, sagt Alexander Zimmermann von der
Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau. Daher könne es
nützlich sein, auf alte Sorten zurückgreifen zu können. Auch der
Massengeschmack könne sich ändern. «Wir testen gerade Liebhabersorten

wie etwa den Berlepsch - ob die nicht auch was für den Erwerbsanbau,
für die Direktvermarktung sind.»

Außerdem vertragen Allergiker alte Apfelsorten oft besser. Sie
enthalten mehr Polyphenol, das herausgezüchtet wurde, um die
Braunfärbung beim Anschnitt zu verhindern. Die Stoffe können jedoch
Allergene im Körper binden. Eine Studie der Berliner Charité ergab,
dass der regelmäßige Verzehr von alten Apfelsorten wie etwa Alkmene,
Jonathan und Boskop «in der Lage ist, die bestehende Apfelallergie
nicht vollkommen zu beseitigen, wohl aber die Beschwerden beim Essen
von Äpfeln deutlich zu reduzieren».

Unabhängig von der Sorte hat die Anbauweise auf der Streuobstwiese
weitere Vorzüge - vor allem im Hinblick auf Klimawandel und
Insektensterben. Weil das Wurzelwachstum hier ausgeprägter ist als im
Plantagenanbau, sind die Bäume weniger anfällig für heiße oder
trockene Wetterlagen, wie Zimmermann sagt. «Wir haben zunehmend heiße
Frühjahre. Das ist Stress für die Bäume», ergänzt Landespfleger
Norbert Metz. «Es kann durchaus sein, dass uns alte Sorten eine
Chance bieten, dass auch in 30, 40 Jahren bei noch höheren
Temperaturen noch gesundes Obst wächst.»

Und für Bienen und Wildtiere bieten Streuobstwiesen gute
Lebensbedingungen. «Da sie selten oder nie gemäht werden, können sich

Tiere hier leichter ansiedeln», sagt Zimmermann. Nach Angaben des
Landschaftspflegeverbandes können bis zu 5000 Tier- und Pflanzenarten
auf so einer extensiv bewirtschafteten Fläche leben.

Das Interesse an Streuobst wachse aktuell wieder, sind sich alle
Experten einig. Die Gründe seien Trends wie Regionalität bei
Lebensmitteln sowie ein zunehmendes Gesundheits- und
Umweltbewusstsein. «Plantagenobst wird 20 Mal im Jahr gespritzt»,
sagt Maria Gentner. «Ich spritze und ich dünge nicht. Der Baum muss
sich hier sein Leben selbst erarbeiten.» Sie bekomme Anfragen von
Privatleuten aus ganz Deutschland, die auch alte Obstsorten anbauen
wollen.

Auch wenn ein Projekt wie ihre «Arche» nur mit viel Idealismus
machbar sei, betreibe sie es gern, betont Gentner. «Alte
Streuobstwiesen faszinieren mich. Sie tun dem Auge, der Landschaft
und der Gesundheit gut.» Auf der Plantage sind alle Bäume und Sorten
beschildert - mit Beschreibungen, Nutzung und Ursprung. Dass hier an
einer Stelle so viele Sorten auf kleinem Raum zu finden seien, sei
schon etwas Besonderes, sagt Landschaftspfleger Metz. Gentners Ziel
ist, irgendwann Vorträge zum Thema zu halten. Bisher wandeln Besucher
vorwiegend auf eigene Faust zwischen ihren alten Bäumen umher.