Bundes-Sonderbeauftragter: Keine schnellen Erfolge bei sauberer Luft

Schmutzige Abgase in Großstädten und Fahrverbote für ältere
Dieselautos - beides will die Bundesregierung mit einem
Milliardenprogramm verhindern. Der Mann, der die Fördermittel
verwaltet, bremst aber die Erwartungen. Und was machen die Städte?

Nürnberg/Berlin (dpa) - Bei den Bemühungen um saubere Luft in stark
belasteten Großstädten rechnet der Sonderbeauftragte der
Bundesregierung, Siegfried Balleis, nicht mit kurzfristigen Erfolgen.
Die Maßnahmen des von ihm betreuten «Sonderprogramms Saubere Luft
2017-2020» würden wahrscheinlich frühestens 2020 greifen, sagte er
der Deutschen Presse-Agentur in Nürnberg. Dann erwartet er aber erste
greifbare Erfolge bei der Schadstoff-Senkung.

Besonders schwierig sei die Lage in stark belasteten Städten wie
München, Hamburg oder Frankfurt. Dort wird es nach Balleis'
Einschätzung auf die Schnelle «keine durchschlagenden Erfolge» geben.

Auch auf mittlere Sicht werde es nicht gelingen, den Grenzwert von 40
Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft zu unterschreiten - dazu sei
die Verkehrsdichte auf den am stärksten belasteten Straßen zu hoch.

Das Bundesverkehrsministerium kritisierte die Aufklärungsarbeit der
Autohersteller: «Es sollte nicht so ein, dass immer wieder erst durch
Untersuchungen des Kraftfahrt-Bundesamts Missstände bekannt werden»,
sagte der parlamentarische Staatssekretär Steffen Bilger (CDU) der
«Stuttgarter Zeitung» und den Stuttgarter Nachrichten (Samstag).
Vielmehr müssten die Hersteller von sich aus offenlegen, wo noch
Nachbesserungen erforderlich sind.

Audi-Chef Rupert Stadler schließt weitere Rückrufe nicht aus. Der
«Augsburger Allgemeinen» (Samstag) sagte er: «Neue Rückrufe sind
nicht die Folge von Untätigkeit, sondern im Gegenteil das Ergebnis
konsequenter Aufklärung.» Der Audi-Chef forderte in der Debatte um
Fahrverbote eine bundeseinheitliche Regelung.

Hamburg setzt vom 31. Mai an beschränkte Diesel-Fahrverbote auf zwei
Straßenabschnitten durch. In einigen anderen Städten halten die
Verwaltungen ähnliche Schritte nicht für ausgeschlossen, konkrete
Vorhaben für Verbote gibt es aber bisher nicht.

Grundsätzlich sieht Balleis die Bundesregierung mit dem Ende 2017
gestarteten Sonderprogramm im Volumen von einer Milliarde Euro auf
dem richtigen Weg. Die Autoindustrie beteiligt sich daran mit 250
Millionen Euro. In Sachen digitaler Verkehrssteuerung gibt es nach
seinen Erkenntnissen in vielen Kommunen noch Nachholbedarf.

Als Beispiele nennt er die Schaffung von mehr «grünen Wellen» mit
entsprechenden Ampelschaltungen. «Je mehr man mit weniger
Ampel-Stopps den Verkehr verflüssigt, desto stärker verringert man
den Schadstoff-Ausstoß», betonte Balleis. Neue oder verbesserte
Parkleitsysteme sollen zudem verhindern, «dass Autofahrer auf der
Suche nach einem Parkplatz 1000 Mal im Kreis fahren». Mit klaren
Hinweisen auf freie Parkplätze könnten Tausende von Kilometern
Suchfahrten eingespart werden.

Ferner sollen mit Wetterdaten gekoppelte Informationssysteme
Autofahrer etwa bei problematischen Wetterlagen frühzeitig auf Bus
und Bahn verweisen. «Es gibt enorm viele Möglichkeiten, mit Hilfe der
Digitalisierung Verkehrsschadstoffe zu verringern», sagte Balleis.
Auch der Umstieg aufs Fahrrad sei ein Beitrag zur Schadstoff-Senkung.

Für wenig hilfreich hält der Sonderbeauftragte der Bundesregierung
hingegen die Entscheidung der EU-Kommission, Deutschland und vier
weitere Länder wegen der hohen Schadstoff-Belastungen in vielen
Städten vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen. Dabei
geht es um die Missachtung von EU-Grenzwerten für Stickoxide, die
bereits seit 2010 verbindlich für alle Mitgliedstaaten sind.

«Natürlich will die EU damit Druck auf die deutsche Regierung
ausüben. Dabei scheint die EU-Kommission aber zu übersehen, dass kein
Land für die Verbesserung der Luft in belasteten Städten so viel Geld
ausgibt wie Deutschland», sagte Balleis. Das einzig Gute an der Klage
sei, dass die neue Regierung nun gefordert sei, das Sonderprogramm
finanziell aufzustocken. Nach seiner Ansicht dürfte die angekündigte
Summe von einer Milliarde Euro nicht ausreichen, um die betroffenen
Städte bei der Verbesserung ihrer Luftqualität zu unterstützen.

Bei der Stadt Köln hieß es: «Sicherlich werden wir uns die Maßnahme
n
und deren Wirksamkeit in Hamburg anschauen.» Mitte Mai hatte
Oberbürgermeisterin Henriette Reker gesagt, dass man um
Fahrbeschränkungen wohl nicht herumkomme, um die Gesundheit der
Bürger zu schützen. «Diese müssen aber nicht nur gerichtlich erlaub
t,
sondern auch praktikabel kontrollierbar und immer verhältnismäßig
sein», sagte die Rathauschefin. In Dortmund etwa ist laut Stadt und
Bezirksregierung derzeit kein Fahrverbot geplant. Aus der
Bezirksregierung Düsseldorf hieß es: «Unser Ziel ist es, Fahrverbote

möglichst zu vermeiden.»

In etlichen niedersächsischen Städten werden die Stickoxid-Grenzwerte
ebenfalls überschritten. Überlegungen für Fahrverbote gibt es in
konkreter Form jedoch noch nicht. In Stuttgart sagte ein Sprecher des
baden-württembergischen Verkehrsministeriums, die Urteilsbegründung
des Bundesverwaltungsgerichts werde weiter geprüft. Die obersten
Verwaltungsrichter in Leipzig hatten Diesel-Fahrverbote bei Wahrung
der Verhältnismäßigkeit prinzipiell für möglich erklärt.

Kritisch sieht Balleis den von den EU festgelegten Grenzwert für
Stickoxid-Belastungen (NOx) von 40 Mikrogramm. An vielen
Arbeitsplätzen sei die NOx-Belastung um ein Vielfaches höher. Die
Festlegung der Schwelle hält Balleis zudem für intransparent. «Das
Zustandekommen des Grenzwerts hat bisher keiner kritisch überprüft»,

betonte er. Auch die von EU-Umweltkommissar Karmenu Vella genannte
Zahl von 400 000 Menschen, die jährlich wegen zu hoher
Luftschadstoffbelastung sterben sollen, hält der Sonderkoordinator
für unseriös. Dafür gebe es keine stichhaltigen Belege, sagte Balleis

unter Berufung auf die Deutsche Gesellschaft für Umweltmedizin.