Spahns erstes Gesetz - Verheißung und Provokation Von Basil Wegener, dpa

Für die Beitragszahler ist der erste Gesetzentwurf von Jens Spahn ein
Grund zur Vorfreude. Für Krankenkassen ist es eine Provokation. Ob
Spahn damit durchkommt, ist noch offen.

Berlin (dpa) - Gleich mit seinem ersten großen Gesetzentwurf
verspricht Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sinkende Beiträge -
und legt sich mit den Chefs großer Krankenkassen an. Kassen mit hohen
Finanzreserven sollen ihr Geldpolster innerhalb von bis zu fünf
Jahren bis zu einer Obergrenze abschmelzen. Dafür haben sie ein
probates Mittel: Die Senkung des Zusatzbeitrags, der ab Anfang 2019
nicht mehr allein von den Kassenmitgliedern, sondern von Arbeitgebern
und -nehmern zu gleichen Teilen bezahlt werden soll. Im
Koalitionsvertrag von Union und SPD steht über einen Zwangsabbau von
Kassenreserven nichts - entsprechend kontrovers sind die Reaktionen.

Stark betroffen sind davon einzelne AOKen, aber auch die Techniker
Krankenkasse. Sie müsste rechnerisch eine Entlastung von 123 Euro pro
Versicherten und Jahr vornehmen, die AOK Sachsen-Anhalt sogar von 742
Euro. TK-Chef Jens Baas pocht darauf, «dass nicht alleine die
Rücklagen abgebaut werden, sondern dass zeitgleich dringend
Änderungen an dem Verteilmechanismus, über den die Kassen die Gelder
aus dem Gesundheitsfonds erhalten, durchgeführt werden».

Wegen der konjunkturbedingt sprudelnden Einnahmen haben die Kassen
2017 Rekordreserven von insgesamt 19,2 Milliarden Euro angehäuft.
Laut Ministerium könnten die Kassen ihre Beiträge um im Schnitt 0,3
Prozentpunkte absenken und hätten dann immer noch das Vierfache der
bislang vorgeschriebenen Mindestrücklage. Doch seit Langem schon
beschweren sich vor allem die Ersatzkassen: Das Geld ist ungleich
verteilt, weil manche Kassen vom gesetzlich vorgeschriebenen
Finanzausgleich weit mehr profitierten als andere. Barmer-Chef
Christoph Straub hat unlängst sogar vor der Insolvenz von Kassen mit
insgesamt 15 Millionen Versicherten gewarnt. So habe das Vermögen bei
der Barmer zuletzt 135 Euro pro Mitglied betragen - bei
Ortskrankenkassen teils 1200 Euro und mehr.

Spahn dürfte mit seinem energisch daherkommenden und bereits in
Formulierungen eines Gesetzentwurfs gegossenen Vorschlag auf wenig
Begeisterung beim Koalitionspartner stoßen. Die
SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar hat bereits vorrangig eine
Reform des Kassen-Finanzausgleichs angemahnt. «Solange es bei den
finanziellen Rahmenbedingungen keine Klarheit gibt, ist es unseriös,
von den Kassen Beitragssenkungen zu fordern», sagte sie Anfang der
Woche dem «Handelsblatt».

Doch Spahn habe seine Pläne bereits bei der SPD vorgestellt, hieß es
in Regierungskreisen. Die Botschaft, dass die Bürger entlastet
werden, steht aus Sicht des Ministers der gesamten Koalition gut zu
Gesicht. Auf rund vier Milliarden Euro beziffert das Ministerium das
Entlastungsvolumen für Kassenmitglieder sowie Rentner, Arbeitgeber
und Rentenversicherung durch einen Abbau hoher Reserven. Was aus dem
Projekt nun wird, dürfte sich in den kommenden Wochen im
Gesetzgebungsverfahren zeigen.

Ziemlich sicher ist dagegen, dass die Kassenmitglieder und Rentner um
6,9 Milliarden Euro entlastet werden. Das ergibt sich, wenn Spahn wie
geplant mit demselben Gesetz den Zusatzbeitrag wieder zu gleichen
Teilen von Arbeitgebern und Kassenmitgliedern zahlen lässt. Darauf
hatte die SPD in den Koalitionsverhandlungen gedrängt. Heute sind die
Unternehmen hier fein raus, die Mitglieder müssen den Zusatzbeitrag
allein zahlen. Im Gegenzug würden Arbeitgeber und Rentenversicherung
um 6,9 Milliarden Euro belastet.

Dass Spahn Konflikte auch mit mächtigen Funktionsträgern im
Gesundheitswesen nicht scheut, ist bekannt. Schon 2015 kritisierte er
die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen: Immer auf die Expertise von
Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen zu setzen, «klappt derzeit
nicht besonders gut». Sein Vorgänger Hermann Gröhe (CDU) beließ es

bei Appellen an die Kassen, ihre Rücklagen zugunsten der
Beitragszahler abzubauen. Spahn will nun offensichtlich durchgreifen.

Sein Credo: «Wir wollen, dass die Verbesserungen im Gesundheitswesen
für die Versicherten, für die Patienten schnell spürbar werden im
Alltag, dass es konkrete Verbesserungen gibt.» Nach dem nun
vorgelegten «Entwurf eines Gesetzes zur Beitragsentlastung der
Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung» komme ein
Sofortprogramm Pflege und ein Vorstoß gegen lange Wartezeiten beim
Arzt, kündigt der 37-Jährige schon einmal an.