Die lebenden Toten - Scheintod-Ausstellung in Berlin Von Gisela Gross, dpa

Aus gruseligen Filmen kennt man sie: Leichen, die doch nicht tot
sind. Schon ab etwa 1750 zogen Wissenschaftler die Eindeutigkeit des
Todes in Zweifel - mit gesellschaftlichen Folgen. Das ist das Thema
einer Ausstellung in Berlin.

Berlin (dpa) - Schneewittchen ist so ein Fall: Im Märchen der
Brüder Grimm verübt die böse Stiefmutter Anschläge auf das Mä
dchen,
woraufhin dieses in einen Zustand zwischen Leben und Tod fällt. In
einer Überlieferung sorgt dann ein fallengelassener Sarg für das
Herausfallen des giftigen Apfelstückchens aus ihrem Hals und ihre
Rückkehr zu den Lebenden. Die Geschichte spiegelt eine intensive
Debatte der Entstehungszeit wider: den Scheintod. In der Bevölkerung
wuchs damals die Angst, lebendig begraben zu werden. Und es
entstanden teils skurrile Ideen zum Schutz vor dieser Notlage, wie
eine Ausstellung in Berlin zeigt.

Das Medizinhistorische Museum der Charité hat die Sonderschau
konzipiert - der Titel: «Scheintot. Über die Ungewissheit des Todes
und die Angst, lebendig begraben zu werden». Erster Öffnungstag für
das Publikum ist der Samstag - anders als ursprünglich geplant muss
das Museum am Freitag wegen einer Bombenentschärfung in der Nähe
geschlossen bleiben. Es liegt im Sperrkreis.

Wie Museumsdirektor Thomas Schnalke schildert, nahm die Debatte um
den Scheintod über einen Zeitraum von etwa 100 Jahren ihren Lauf,
nachdem ein französischer Arzt 1742 ein Buch über die Ungewissheit
der Todes-Kennzeichen veröffentlichte. Sein Text enthielt Geschichten
Scheintoter, die erst durch die irrtümliche Bestattung tatsächlich
gestorben sein sollen. Das Buch sorgte europaweit für Diskussionen.

Die Folgen des Buches zeichnet die weitgehend düster inszenierte
Ausstellung nach: Leichenhäuser entstanden, in denen mutmaßlich Tote
aufgebahrt wurden, um auf untrügliche Anzeichen des Todes zu warten.
Im Fall eines wieder zum Leben erwachenden Menschen wäre durch an
Händen und Füßen angebrachte Schnüre Alarm beim Wächter ausgelö
st
worden.

Und Tüftler konstruierten verschiedene Rettungssärge, damit
versehentlich Bestattete unter der Erde auf sich aufmerksam machen
können. Auch für Luftzufuhr im Sarg wäre gesorgt gewesen - realisiert

wurden diese Apparate laut Schnalke nie.

Durchaus zum Einsatz kam hingegen ein Arsenal an Instrumenten, das im
Museum aufgereiht ist. Eine Frage war, wie sich Scheintote ins Leben
zurückholen lassen. Man habe Klistiere gesetzt, geschröpft, zur Ader
gelassen, ins Ohr trompetet und sogar Schädelbohrungen gewagt, zählt
Schnalke auf. Auch wollten damalige Forscher wissen, ob sich der
Lebensfunke mit Elektrizität anfachen lässt: Sie legten zum Beispiel

einem Erhängten Strom an. Ohne Erfolg.

Im Kern sei die Debatte um den Scheintod von Unsicherheit und Angst
befeuert worden, erläuterte Schnalke. Manche Menschen baten für den
Fall ihres - mutmaßlichen - Todes um einen Stich ins Herz, um letzte
Zweifel vor der Bestattung auszuräumen. Dafür gab es sogar ein leicht

gebogenes Spezialmesser. Dabei sind aus Leichenhäusern keine
dokumentierten Fälle von Scheintoten bekannt, wie Schnalke sagt.
Andere Fälle vermeintlicher Wiederbelebung erklärten sich aus
heutiger Sicht damit, dass die Menschen wohl nicht ganz tot waren,
beispielsweise nachdem sie gehängt worden waren.

Und heute? Ärzte können den Tod ziemlich genau festzustellen, wie
Schnalke sagte - trotzdem bleibe das Thema für die Menschen sehr
emotional. Für Beruhigung sorgt da vielleicht ein Exponat: eine
Klappe von heutigen Kühlzellen für Leichen. Sie lässt sich mit eine
m
mit «Exit» beschrifteten Hebel von innen öffnen. Sicher ist siche
r.